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Verschiedenes - Editorial


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Martin SchluEditorial

Die Sommerhitze und ihre Auswirkungen auf das Mundwerk

13. August 2003




Bei konstant 36 - 39 Grad ist es bald kein Vergnügen mehr, Ferien zu haben und nichts tun zu müssen. Tagsüber stöhnen die lieben Mitmenschen über die Hitze (obwohl viele so bescheuert sind, sich dann auch noch in die Sonne zu legen) und ignorieren die aktuelle Reklame der Stiftung Dermatologie, auf der ein Kind von einer Figur im schwarzen Outfit fortgetragen wird ("Holen Sie ihr Kind aus der Sonne, bevor es jemand anders tut"), nachts stöhnen sie aus anderen Gründen und wenn alle Fenster offen sind, schwebt ab und zu ein Orgasmus durch die Nacht und kringelt sich ins Ohr - eigentlich ist es selbst dafür zu heiß. Im Fluß zu baden ist gegenwärtig mangels Wasser auch nicht der Bringer, und weil die Städte früher die Hallenbäder aus Geldnot geschlossen haben und das Schulschwimmen ersatzlos ausfiel, können die meisten Kinder heute kaum noch schwimmen und darum ertrinken auch immer mehr von ihnen - leider letztens auch wieder ein Kind bei uns am Rheinstrand.

Vielleicht hat es ja mit dem durch die Hitze weich gewordenen Gehirn und dem Sommerloch zu tun, daß man sich gegenwärtig mit dem Bübchen Mißfelder herumschlägt. Es paßt ganz gut ins Bild, daß nach Jahren der Kostendämpfung bei Krankenkasse und Beihilfe ein junger Nachwuchspolitiker fordert, den Alten in Zukunft keine "Luxusoperationen" mehr zu bezahlen. Nun argumentieren Ärzte anders als Rechnungsprüfer, Ich kann auch schwimmen, werde vermutlich nicht im Rhein ertrinken und deshalb auch vielleicht mal siebzig und älter. Daß ich dann persönlich wahrscheinlich immer noch arbeiten muß, um mir dann einen Billig-Krückstock vom Flohmarkt zu kaufen, weil es für mehr nicht reicht, konnte ich mir schon vor Jahren ausrechnen und habe dafür die unsäglichen Sätze von Herrn Mißfelder nicht gebraucht. Die Wahrscheinlichkeit, daß meine Jahrgangsgenossen noch leben, ist relativ groß (wir haben auch alle noch schwimmen gelernt) und da wir in den Sechziger Jahren mit vierzig Kindern in der Klasse waren, uns in den Siebzigern um die Studienplätze gekloppt haben, in den Achtzigern um die Jobs, in den Neunzigern um die Kindergartenplätze für unsere Kinder, sind wir das Kloppen gewöhnt - mit so einem Jüngelchen würde meine Generation sicherlich mit links fertig.

Es ändert allerdings nichts mehr an dem gefährlichen Terrain, auf dem gerade gespielt und gerechnet wird. Die gesellschaftliche Tretmine, die Mißfelder ausgelegt hat, wird hochgehen - es ist nur die Frage, wen es dann treffen wird. Meine Mutter wahrscheinlich nicht mehr - mit 78 Jahren kann sie sich beruhigt zurücklehnen, weil sie die Auswirkungen vermutlich nicht mehr erleben wird und auch in zehn Jahren noch auf die Besitzstandswahrung pochen könnte, wenn das römische Recht nicht gebrochen wird und Gesetzesänderungen auch rückwirkend Konsequenzen haben könnten. Ich bin zuversichtlich, daß die jetzige Rentnergeneration dafür vor den EU-Gerichtshof ziehen würde und sie würden natürlich recht bekommen. Aber ich selber bin heilfroh, daß ich außer Schule auch noch was anderes gelernt habe - vermutlich kann man mich nach meiner Pensionierung mit siebzig in Kaffeehäusern erleben, wo ich für ein paar Münzen Musik mache, solange die Finger nicht zu zitterig sind.

Bloß, was machen dann eigentlich unsere Kinder? Keine Jobs mehr, die Rentenkasse aufgelöst um Schulden zu bezahlen, Krankenversicherung unbezahlbar - wir kriegen ziemlich sicher amerikanische Verhältnisse ohne Pflichtversicherung und mit Millionen von Suppenküchenessern. Dann darf dieser Staat aber auch keine gesetzliche Rente mehr einziehen lassen. Schließlich wird keiner mehr bei einer Bank ein Konto haben wollen, die nur das Gehalt einzieht, aber den Dispo immer weiter verkürzt. Also: Schwarzarbeit in Massen, Tauschwirtschaft für alles und jedes und die heimliche Währung werden dann vermutlich Dienstleistungen auf gegenseitiger Basis.

Also, wer demnächst etwas von mir will, schreibt mir am besten vorher, was er mir anbieten kann: Kinderkleidung Gr. 176, Noten, eine Autoinspektion, vielleicht regelmäßig die gelesene Zeitung von gestern... im Gegenzug helfe ich bei Hausaufgaben, schreibe Briefe oder anderes und bespiele Taufe, Hochzeit und Todesfall - "Gruftmucke" nennt man in Musikerkreisen so etwas - und zum Leichenschmaus ist man auch noch eingeladen. Dann bringe ich meine Familie halt mit.

Mit Volldampf in die Nachkriegszeit.....

Martin Schlu