www.martinschlu.de

Ratgeber - Elternhilfe - Lernbehinderungen - Gehirnschädigung


Anfang
Lernbehinderungen durch Gehirnschädigung
© Martin Schlu Stand: 2. September 2003 / Revision 120 April 2020
zurück - weiter

Es gibt tausende Möglichkeiten, warum eine Lernbehinderung vorliegen kann. Es sind nicht nur die "Frühchen", also die Kinder, die ab vier Wochen zu früh geboren sind und damit ein mindestens viermal so hohes Risiko haben lernbehindert zu sein (SPIEGEL 6. Juli 2000), sondern denkbar ist jeder Fehler, der bei der Geburt passiert sein kann und einen Sauerstoffmangel auslöst:

    * Verzicht auf künstliche Beatmung in einer Krisensituation;
    * Steckenbleiben des Kindes im Geburtskanal;
    * Zangengeburt;
    * Nabelschnur um den Kopf;
    * Verzögerung bei der künstlichen Beatmung,
    * Unschlüssigkeit der Ärzte, ob beatmet wird oder nicht ... etc..

Hier könnten die meisten Ärzte erschöpfend Auskunft geben, werden sich aber meistens hüten zu viel zu sagen, da sie befürchten müssen, verklagt zu werden, denn sie  oft die Wahl zwischen Pest oder Cholera: Beatmen sie (mit einem Schlauch, der in die Lunge geschoben wird), wird das überlebende Kind vermutlich ein Allergiker mit einem hohen Asthma-Risiko. Beatmen Sie nicht, gibt es jede Menge absterbende Gehirnzellen und eine geistige Behinderung. Beatmen sie zu spät, weil sie hoffen, daß das Kind von selbst anfängt nach Luft zu schnappen, kann es sein, daß man ein allergisches Kind mit einer geistigen Behinderung bekommt (so wie es bei uns passiert ist) - man wird gelassener, wenn man das als Schicksal annehmen kann. Außer zu Sauerstoffmangel kann es auch später zu epileptischen Anfällen kommen, doch  Epileptiker sind im Normalfall nicht lernbehindert, so daß es hier primär um Sauerstoffmangel als Auslöser für eine Lernbehinderung geht.

Risiken
Wahrscheinlich kommt es bei einem Sauerstoffmangel aber „nur“ zu einer Lernbehinderung, weil die Sauerstoffwerte auffällig abfallen und bereits beim Feststellen des Befundes die ganze Maschinerie startet: bei uns wurden die Feuerwehr und der Kindernotarzt gerufen, ein halbes Dutzend Ärzte strömte in den Kreißsaal, ich mußte dem ersten Zwilling eine Sauerstoffmaske auf die Nase pressen, weil er blau angelaufen war und als das zweite Kind da war, kamen vier Feuerwehrleute mit zwei Inkubationsboxen in den Saal gerannt, packten die Kinder ein und verschwanden. Drei Wochen wußten wir nicht, ob sie überleben würden und waren mehrere Male pro Tag bei jedem Besuch auf das Schlimmste gefaßt.

Generell kann man heute sagen, daß bei Gehirnschädigungen zwar Teile irreparabel sind, jedoch kann das Gehirn als ein jedem Computer überlegenes Netzwerk in bestimmtem Umfang Aufgaben in andere Gehirnteile delegieren oder verlagern, wie auch immer. Das Zauberwort heißt hier "üben". Grundsätzlich gilt: je früher die Diagnostik, desto eher kann eine Maßnahme getroffen werden wie z.B. Frühförderung ab dem 2. Lebensjahr (Lebenshilfe e.V.), Ergotherapie zur Behebung von Teilleistungsstörungen, Sensomotorische Übungen wie Motopädie, Therapeutisches Reiten, Delphintherapie etc. 

Unter bestimmten Voraussetzungen kann abgestorbenes Hirngewebe vom Körper absorbiert und sehr langsam neu gebildet werden. Eine MRT-Aufnahme unserer zweijährigen Zwillinge zeigte ein vergrößertes Hirnventrikel und durch die Diskussion der Ärzte den damaligen (1992) Stand der Medizin: ein Teil fand es sehr bedenklich „zu viel Loch im Gehirn, zuwenig Hirnsubstanz“, die anderen fanden es überaus positiv „höherer Neuronendurchsatz im Gewebe, also mehr Chancen zur Entwicklung“ . Zwanzig Jahre später hat das eine Mädchen ein Fachabitur abgelegt und studierte Ergotherapie, das andere ist eine geschätzte Mitarbeiterin im Zimmerservice und hat ihren Platz im Leben gefunden. Also mehr Mut bitte!

Was außer einer Lernbehinderung geschehen kann, sind Augenverletzungen, die später zu Sehschäden, Achsenverschiebungen oder Netzhautablösungen führen können. Dafür kann man keinen Arzt haftbar machen und  sollte es auch nicht tun.

Kinderarzt
Einem guten Kinderarzt fallen Verzögerungen spätestens bei der U5 auf, man kann sich dann weitervermitteln lassen um bestimmte Entwicklungstest (Denver, Frostig) durchführen zu lassen, die wiederum Hinweise auf mögliche Hilfen geben können (Beispiel: ein LB-Kind hat Probleme im kognitiven Bereich, aber der Test ergibt Stärken im Farbsinn - also lernt das Kind nicht über Erklärungen, sondern sollte mehr mit Farbhilfen arbeiten z.B. farbiges Unterstreichen, über Farben bestimmte Zusammenhänge zuordnen).

Ein guter Kinder- und Jugendneurologe kann methodische Hilfen auch für die Kollegen in der Schule geben - gerade LB-Kinder brauchen in der Schule eine extrem gute methodische Hilfe. Dummerweise ist dies im Schulbereich immer noch selten anzutreffen, machen Sie sich also selbst schlau! Ein IQ-Test ist erst ab sechs bis sieben Jahren möglich, das Ergebnis hikft auch nicht viel. Kinder mit Werten unter IQ 60 gelten als geistig behindert, zwischen IQ 75 bis 90 als lernbehindert. Eine Prognose auf das spätere Leben ist dieser Test nicht.

Kindergarten
Wir hatten das Glück zwei Plätze in einem integrativen Montessori-Kindergarten zu bekommen, dem Kindergarten „Aktion Regenbogen“. Zwei kleine Gruppen (max. 15 Kinder) wurden von zwei Kindergärtnern (m/w), einer Ergotherapeutin und einem Sprachtherapeuten betreut und weil unsere Kinder dort vier Jahre verbringen durften, haben sie von dort einen Grundstock mitbekommen, an dem später in der Grundschule und der Sek I (bis Klasse 10) noch gezehrt wurde. Hauptsächlich wurde über Bewegung und Motorik gelernt, immer wieder wurde geübt und angewendet und so fielen die beiden Mädchen in der Grundschule nicht als Außenseiter auf. Was dieser Kindergarten geleistet hat, kann man über zwanzig Jahre später gar nicht hoch genug einschätzen. Gerade die Kombination von Montessori-Pädagogik und integrativem Modell war beispielgebend und sollte viel stärker beachtet werden. Daß von den Eltern extrem viel Mitarbeit eingefordert und geleistet wurde, war der gerne gezahlte Preis für eine überragende Einrichtung.
______________

Pflichtlektüre für die, die weitermachen wollen:

Literatur
Daniel Goleman: Emotionale Intelligenz, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1997
Manfred Spitzer: Geist im Netz,  Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1996

Links
http://de.wikipedia.org/wiki/Hirnventrikel
http://blog.birkenbihl-sprachen.com/2013/03/farben-wirken-wunder/ http://de.wikipedia.org/wiki/Montessorip%C3%A4dagogik
http://www.medtronic.de/erkrankungen/hirnverletzungen/ http://www.med.de/gesundheit/schwangerschaft-geburt/schwangerschaft/fruehgeburt.html http://entwicklungsdiagnostik.de/grundlagen.html