| 
        
         | 
        
        
    |   | 
      | 
 
    
    
                |  
                  
	 | 
                 
                  
     | 
                 
                   
    -> Querformat bitte nutzen 
     | 
 
 
		      Gotthold Ephraim 
              Lessing: Nathan der Weise 1.2 
             
                Zweiter Auftritt (1/2)
                 
                Recha und die Vorigen. 
                 
                Recha.
                So seid Ihr es doch ganz und gar, mein Vater?
                Ich glaubt', Ihr hättet Eure Stimme nur
                Vorausgeschickt. Wo bleibt Ihr? Was für Berge,
                Für Wüsten, was für Ströme trennen uns
                Denn noch? Ihr atmet Wand an Wand mit ihr,
                Und eilt nicht, Eure Recha zu umarmen?
                Die arme Recha, die indes verbrannte!
                Fast, fast verbrannte! Fast nur. Schaudert nicht!
                Es ist ein garstiger Tod, verbrennen. Oh! 
                 
                Nathan.
                Mein Kind! mein liebes Kind! 
                 
                Recha.       
                Ihr mußtet über
                Den Euphrat, Tigris, Jordan; über - wer
                Weiß was für Wasser all? - Wie oft hab ich
                Um Euch gezittert, eh' das Feuer mir
                So nahe kam! Denn seit das Feuer mir
                So nahe kam: dünkt mich im Wasser sterben
                Erquickung, Labsal, Rettung, - Doch Ihr seid
                Ja nicht ertrunken: ich, ich bin ja nicht
                Verbrannt. Wie wollen wir uns freun, und Gott,
                Gott loben! Er, er trug Euch und den Nachen
                Auf Flügeln seiner unsichtbaren Engel
                Die ungetreuen Ström' hinüber. Er,
                Er winkte meinem Engel, daß er sichtbar
                Auf seinem weißen Fittiche, mich durch
                Das Feuer trüge - 
                 
                Nathan.       
                (Weißem Fittiche!
                Ja, ja! der weiße vorgespreizte Mantel
                Des Tempelherrn.) 
                 
                Recha.       
                Er sichtbar, sichtbar mich
                Durchs Feuer trüg', von seinem Fittiche
                Verweht. - Ich also, ich hab einen Engel
                Von Angesicht zu Angesicht gesehn;
                Und meinen Engel. 
                 
                Nathan.       
                Recha wär' es wert;
                Und würd' an ihm nichts Schönres sehn, als er
                An ihr. 
                 
                Recha 
                (lächelnd).
                 Wem schmeichelt Ihr, mein Vater? wem?
                Dem Engel, oder Euch? 
                 
                Nathan.       
                Doch hätt' auch nur
                Ein Mensch - ein Mensch, wie die Natur sie täglich
                Gewährt, dir diesen Dienst erzeigt: er müßte
                Für dich ein Engel sein. Er müßt' und würde. 
                
                 
                Recha.
                Nicht so ein Engel; nein! ein wirklicher;
                Es war gewiß ein wirklicher! - Habt Ihr,
                Ihr selbst die Möglichkeit, daß Engel sind,
                Daß Gott zum Besten derer, die ihn lieben,
                Auch Wunder könne tun, mich nicht gelehrt?
                Ich lieb ihn ja. 
                 
                Nathan.       
                Und er liebt dich; und tut
                Für dich, und deinesgleichen, stündlich Wunder;
                Ja, hat sie schon von aller Ewigkeit
                Für euch getan. 
                 
                Recha.       
                Das hör ich gern. 
                 
                Nathan.             
                Wie? weil
                Es ganz natürlich, ganz alltäglich klänge,
                Wenn dich ein eigentlicher Tempelherr
                Gerettet hätte: sollt' es darum weniger
                Ein Wunder sein? - Der Wunder höchstes ist,
                Daß uns die wahren, echten Wunder so
                Alltäglich werden können, werden sollen.
                Ohn' dieses allgemeine Wunder, hätte
                Ein Denkender wohl schwerlich Wunder je
                Genannt, was Kindern bloß so heißen mußte,
                Die gaffend nur das Ungewöhnlichste,
                Das Neuste nur verfolgen. 
                 
                Daja 
                (zu Nathan).       
                Wollt Ihr denn
                Ihr ohnedem schon überspanntes Hirn
                Durch solcherlei Subtilitäten ganz
                Zersprengen? 
                 
                Nathan.       
                Laß mich! - Meiner Recha wär'
                Es Wunders nicht genug, daß sie ein Mensch
                Gerettet, welchen selbst kein kleines Wunder
                Erst retten müssen? Ja, kein kleines Wunder!
                Denn wer hat schon gehört, daß Saladin
                Je eines Tempelherrn verschont? daß je
                Ein Tempelherr von ihm verschont zu werden
                Verlangt? gehofft? ihm je für seine Freiheit
                Mehr als den ledern Gurt geboten, der
                Sein Eisen schleppt; und höchstens seinen Dolch? 
                 
                Recha.
                Das schließt für mich, mein Vater. - Darum eben
                War das kein Tempelherr; er schien es nur. -
                Kömmt kein gefangner Tempelherr je anders
                Als zum gewissen Tode nach Jerusalem;
                Geht keiner in Jerusalem so frei
                Umher: wie hätte mich des Nachts freiwillig
                Denn einer retten können? 
                 
                Nathan.       
                Sieh! wie sinnreich.
                Jetzt, Daja, nimm das Wort. Ich hab es ja
                Von dir, daß er gefangen hergeschickt
                Ist worden. Ohne Zweifel weißt du mehr. 
                 
                Daja.
                Nun ja. - So sagt man freilich; - doch man sagt
                Zugleich, daß Saladin den Tempelherrn
                Begnadigt, weil er seiner Brüder einem,
                Den er besonders lieb gehabt, so ähnlich sehe.
                Doch da es viele zwanzig Jahre her,
                Daß dieser Bruder nicht mehr lebt, - er hieß,
                Ich weiß nicht wie; - er blieb, ich weiß nicht 
                  wo: -
                So klingt das ja so gar - so gar unglaublich,
                Daß an der ganzen Sache wohl nichts ist. 
                 
                 
                Nathan.
                Ei, Daja! Warum wäre denn das so
                Unglaublich? Doch wohl nicht - wie's wohl geschieht -
                Um lieber etwas noch Unglaublichers
                Zu glauben? - Warum hätte Saladin,
                Der sein Geschwister insgesamt so liebt,
                In jüngern Jahren einen Bruder nicht
                Noch ganz besonders lieben können? - Pflegen
                Sich zwei Gesichter nicht zu ähneln? - Ist
                Ein alter Eindruck ein verlorner? - Wirkt
                Das Nämliche nicht mehr das Nämliche?
                Seit wenn? - Wo steckt hier das Unglaubliche?
                Ei freilich, weise Daja, wär's für dich
                Kein Wunder mehr; und deine Wunder nur
                Bedürf ... verdienen, will ich sagen, Glauben. 
                 
                Daja.
                Ihr spottet. 
                 
                Nathan.       
                Weil du meiner spottest. - Doch
                Auch so noch, Recha, bleibet deine Rettung
                Ein Wunder, dem nur möglich, der die strengsten
                Entschlüsse, die unbändigsten Entwürfe
                Der Könige, sein Spiel - wenn nicht sein Spott -
                Gern an den schwächsten Fäden lenkt. 
                 
                Recha.       
                Mein Vater!
                Mein Vater, wenn ich irr, Ihr wißt, ich irre
                Nicht gern. 
                 
                Nathan.       
                Vielmehr, du läßt dich gern belehren.
                Sieh! eine Stirn, so oder so gewölbt;
                Der Rücken einer Nase, so vielmehr
                Als so geführet; Augenbraunen, die
                Auf einem scharfen oder stumpfen Knochen
                So oder so sich schlängeln; eine Linie,
                Ein Bug, ein Winkel, eine Falt', ein Mal,
                Ein Nichts, auf eines wilden Europäers
                Gesicht: - und du entkommst dem Feu'r, in Asien!
                Das wär' kein Wunder, wundersücht'ges Volk?
                Warum bemüht ihr denn noch einen Engel? 
                 
                Daja.
                Was schadet's - Nathan, wenn ich sprechen darf -
                Bei alledem, von einem Engel lieber
                Als einem Menschen sich gerettet denken?
                Fühlt man der ersten unbegreiflichen
                Ursache seiner Rettung nicht sich so
                Viel näher? 
                 
                Nathan.       
                Stolz! und nichts als Stolz! Der Topf
                Von Eisen will mit einer silbern Zange
                Gern aus der Glut gehoben sein, um selbst
                Ein Topf von Silber sich zu dünken. - Pah! -
                Und was es schadet, fragst du? was es schadet?
                Was hilft es? dürft' ich nur hinwieder fragen. -
                Denn dein »Sich Gott um so viel näher fühlen«
                Ist Unsinn oder Gotteslästerung. -
                Allein es schadet; ja, es schadet allerdings. -
                Kommt! hört mir zu. - Nicht wahr? dem Wesen, das
                Dich rettete, - es sei ein Engel oder
                Ein Mensch, - dem möchtet ihr, und du besonders,
                Gern wieder viele große Dienste tun? -
                Nicht wahr? - Nun, einem Engel, was für Dienste,
                Für große Dienste könnt ihr dem wohl tun?
                Ihr könnt ihm danken; zu ihm seufzen, beten;
                Könnt in Entzückung über ihn zerschmelzen;
                Könnt an dem Tage seiner Feier fasten,
                Almosen spenden. - Alles nichts. - Denn mich
                Deucht immer, daß ihr selbst und euer Nächster
                Hierbei weit mehr gewinnt, als er. Er wird
                Nicht fett durch euer Fasten; wird nicht reich
                Durch eure Spenden; wird nicht herrlicher
                Durch eu'r Entzücken; wird nicht mächtiger
                Durch eu'r Vertraun. Nicht wahr? Allein ein Mensch! 
                 
                Daja.
                Ei freilich hätt' ein Mensch, etwas für ihn
                Zu tun, uns mehr Gelegenheit verschafft.
                Und Gott weiß, wie bereit wir dazu waren!
                Allein er wollte ja, bedurfte ja
                So völlig nichts; war in sich, mit sich so
                Vergnügsam, als nur Engel sind, nur Engel
                Sein können. 
                 
                Recha.       
                Endlich, als er gar verschwand ... 
                 
                Nathan.
                Verschwand? - Wie denn verschwand? - Sich untern Palmen
                Nicht ferner sehen ließ? - Wie? oder habt
                Ihr wirklich schon ihn weiter aufgesucht? 
                 
                Daja.
                Das nun wohl nicht. 
                 
                Nathan.       
                Nicht, Daja? nicht? - Da sieh
                Nun was es schad't! - Grausame Schwärmerinnen!
                Wenn dieser Engel nun - nun krank geworden! ... 
                 
                Recha.
                Krank! 
                 
                Daja.       
                Krank! Er wird doch nicht! 
                 
                Recha.             
                Welch kalter Schauer
                Befällt mich! - Daja! - Meine Stirne, sonst
                So warm, fühl! ist auf einmal Eis. 
                 
                Nathan.       
                Er ist
                Ein Franke, dieses Klimas ungewohnt;
                Ist jung; der harten Arbeit seines Standes,
                Des Hungerns, Wachens ungewohnt. 
                 
                Recha.       
                Krank! krank! 
                 
                Daja.
                Das wäre möglich, meint ja Nathan nur. 
                 
                Nathan.
                Nun liegt er da! hat weder Freund, noch Geld
                Sich Freunde zu besolden. 
                 
                Recha.       
                Ah, mein Vater! 
                 
                Nathan.
                Liegt ohne Wartung, ohne Rat und Zusprach',
                Ein Raub der Schmerzen und des Todes da! 
                Recha.
                Wo? wo? 
                 
                Nathan.       
                Er, der für eine, die er nie
                Gekannt, gesehn - genug, es war ein Mensch
                Ins Feu'r sich stürzte ... 
                 
                Daja.       
                Nathan, schonet ihrer! 
                 
                Nathan.
                Der, was er rettete, nicht näher kennen,
                Nicht weiter sehen mocht', - um ihm den Dank
                Zu sparen ... 
                 
                Daja.       
                Schonet ihrer, Nathan! 
                 
                Nathan.             
                Weiter
                Auch nicht zu sehn verlangt', - es wäre denn,
                Daß er zum zweitenmal es retten sollte -
                Denn g'nug, es ist ein Mensch ... 
                 
                Daja.       
                Hört auf, und seht! 
                 
                Nathan.
                Der, der hat sterbend sich zu laben, nichts
                Als das Bewußtsein dieser Tat! 
                 
                Daja.       
                Hört auf!
                Ihr tötet sie! 
                 
                Nathan.       
                Und du hast ihn getötet! -
                Hättst so ihn töten können. - Recha! Recha!
                Es ist Arznei, nicht Gift, was ich dir reiche.
                Er lebt! - komm zu dir! - ist auch wohl nicht krank:
                Nicht einmal krank! 
                 
                Recha.       
                Gewiß? - nicht tot? nicht krank? 
                 
                Nathan.
                Gewiß, nicht tot! Denn Gott lohnt Gutes, hier
                Getan, auch hier noch. - Geh! - Begreifst du aber,
                Wieviel andächtig schwärmen leichter, als
                Gut handeln ist? wie gern der schlaffste Mensch
                Andächtig schwärmt, um nur, - ist er zu Zeiten
                Sich schon der Absicht deutlich nicht bewußt -
                Um nur gut handeln nicht zu dürfen? 
                 
                Recha.       
                Ah,
                Mein Vater! laßt, laßt Eure Recha doch
                Nie wiederum allein! - Nicht wahr, er kann
                Auch wohl verreist nur sein? - 
                 
                Nathan.       
                Geht! - Allerdings. -
                Ich seh, dort mustert mit neugier'gem Blick
                Ein Muselmann mir die beladenen
                Kamele. Kennt Ihr ihn? 
                 
                Daja.       
                Ha! Euer Derwisch. 
                 
                Nathan.
                Wer? 
                 
                Daja.       
                Euer Derwisch; Euer Schachgesell! 
                 
                Nathan.
                Al-Hafi? das Al-Hafi? 
                 
                Daja.       
                Itzt des Sultans
                Schatzmeister. 
                 
                Nathan.      
                Wie? Al-Hafi? Träumst du wieder?
                Er ist's! - wahrhaftig, ist's! - kömmt auf uns zu.
                Hinein mit Euch, geschwind! - Was werd ich hören! 
                 
                 | 
 
 
     |