Die Sage vom
            Hirschgulden 
            
            In Oberschwaben stehen
            noch heutzutage die Mauern einer Burg, die einst die
            stattlichste der Gegend war: Hohenzollern. Sie erhebt
            sich auf einem runden steilen Berg, und von ihrer
            schroffen Höhe sieht man weit und frei ins Land. So
            weit und noch viel weiter, als man diese Burg im Land
            umher sehen kann, ward das tapfere Geschlecht der Zollern
            gefürchtet, und ihren Namen kannte und ehrte man in
            allen deutschen Landen. Nun lebte vor mehreren hundert
            Jahren, ich glaube das Schießpulver war kaum
            erfunden, auf dieser Feste ein Zollern, der von Natur ein
            sonderbarer Mensch war. Man konnte nicht sagen, daß
            er seine Untertanen hart gedrückt oder mit seinen
            Nachbarn in Fehde gelebt hätte, aber dennoch traute
            ihm niemand über den Weg ob seinem finsteren Auge,
            seiner krausen Stirn und seinem einsilbigen,
            mürrischen Wesen. Es gab wenige Leute außer
            dem Schloßgesinde, die ihn je hätten
            ordentlich sprechen hören wie andere Menschen; denn
            wenn er durch das Tal ritt, einer ihm begegnete und
            schnell die Mütze abnahm, sich hinstellte und sagte:
            "Guten Abend, Herr Graf, heute ist es schön Wetter",
            so antwortete er: "Dummes Zeug!" oder "Weiß
            schon!". Hatte aber einer etwas nicht recht gemacht,
            für ihn oder seine Rosse, begegnete ihn ein Bauer im
            Hohlweg mit dem Karren, daß er auf seinem Rappen
            nicht schnell genug vorüberkommen konnte, so entlud
            sich sein Ingrimm in einem Donner von Flüchen; doch
            hat man nie gehört, daß er bei solchen
            Gelegenheiten einen Bauern geschlagen hätte. In der
            Gegend aber hieß man ihn "das böse Wetter von
            Zollern".  
            
            Das böse Wetter
            von Zollern hatte eine Frau, die der Widerpart von ihm
            und so mild und freundlich war wie ein Maitag. Oft hat
            sie Leute, die ihr Eheherr durch harte Reden beleidigt
            hatte, durch freundliche Worte und ihre gütigen
            Blicke wieder mit ihm ausgesöhnt; den Armen aber tat
            sie Gutes, wo sie konnte, und ließ es sich nicht
            verdrießen, sogar im heißen Sommer oder im
            schrecklichsten Schneegestöber den steilen Berg
            herabzugehen, um arme Leute oder kranke Kinder zu
            besuchen. Begegnete ihr auf solchen Wegen der Graf, so
            sagte er mürrisch: "Weiß schon, dummes Zeug!"
            und ritt weiter. 
            
            Manch andere Frau
            hätte dieses mürrische Wesen abgeschreckt oder
            eingeschüchtert; die eine hätte gedacht, was
            gehen mich die armen Leute an, wenn mein Herr sie
            für dummes Zeug hält; die andere hätte
            vielleicht aus Stolz oder Unmut die Liebe gegen einen so
            mürrischen Gatten erkalten lassen; doch nicht so
            Frau Hedwig von Zollern. Die liebte ihn nach wie vor,
            suchte mit ihrer schönen weißen Hand die
            Falten von seiner braunen Stirn zu streichen und liebte
            und ehrte ihn. Als aber nach Jahr und Tag der Himmel ein
            junges Gräflein zum Angebinde bescherte, liebte sie
            ihren Gatten nicht minder, indem sie ihrem Söhnchen
            dennoch alle Pflichten einer zärtlichen Mutter
            erzeigte. Drei Jahre lang vergingen, und der Graf von
            Zollern sah seinen Sohn nur alle Sonntage nach Tische, wo
            er ihm von der Amme dargereicht wurde. Er blickte ihn
            dann unverwandt an, brummte etwas in den Bart und gab ihm
            der Amme zurück. Als jedoch der Kleine "Vater" sagen
            konnte, schenkte der Graf der Amme einen Gulden -dem Kind
            machte er kein fröhlicheres Gesicht. 
            
            An seinem dritten
            Geburtstag aber ließ der Graf seinem Sohn die
            ersten Höslein anziehen und kleidete ihn
            prächtig in Samt und Seide; dann befahl er, seinen
            Rappen und ein anderes schönes Roß
            vorzuführen, nahm den Kleinen auf den Arm und fing
            an, mit klirrenden Sporen die Wendeltreppe
            hinunterzusteigen. Frau Hedwig erstaunte, als sie dies
            sah. Sie war sonst gewohnt, nicht zu fragen, wo aus und
            wann heim?, wenn er ausritt, aber diesmal öffnete
            die Sorge um ihr Kind ihre Lippen. "Wollt Ihr ausreiten,
            Herr Graf?" sprach sie weiter. "Kuno wird mit mir
            spazierengehen."  
            
            "Weiß schon!"
            entgegnete das böse Wetter von Zollern und ging
            weiter; und als er im Hofe stand, nahm er den Knaben bei
            einem Füßlein, hob ihn schnell in den Sattel,
            band ihn mit einem Tuch fest, schwang sich selbst auf den
            Rappen und trabte zum Burgtor hinaus, indem er den
            Zügel vom Rosse seines Söhnleins in die Hand
            nahm. 
            
            Dem Kleinen schien es
            anfangs großes Vergnügen zu gewähren, mit
            dem Vater den Berg hinabzureiten. Er klopfte in die
            Hände, er lachte und schüttelte sein
            Rößlein an den Mähnen, damit es schneller
            laufen sollte, und der Graf hatte seine Freude daran,
            rief auch einige Male: "Kannst ein wackerer Bursche
            werden." 
            
            Als sie aber in der
            Ebene angekommen waren und der Graf statt Schritt Trab
            anschlug, da vergingen dem Kleinen die Sinne; er bat
            anfangs ganz bescheiden, sein Vater möchte langsamer
            reiten, als es aber immer schneller ging und der heftige
            Wind dem armen Kuno beinahe den Atem nahm, da fing er an,
            still zu weinen, wurde immer ungeduldiger und schrie am
            Ende aus Leibeskräften. 
            
            "Weiß schon!
            Dummes Zeug!" fing jetzt sein Vater an. "Heult der Junge
            beim ersten Ritt; schweig oder ..." Doch den Augenblick,
            als er mit einem Fluche sein Söhnlein aufmuntern
            wollte, bäumte sich sein Roß; der Zügel
            des andern entfiel seiner Hand, er arbeitete sich ab,
            Meister seines Tieres zu werden, und als er es zur Ruhe
            gebracht hatte und sich ängstlich nach seinem Kinde
            umsah, erblickte er dessen Pferd, wie es ledig und ohne
            den kleinen Reiter der Burg zulief. 
            
            So ein harter,
            finsterer Mann der Graf von Zollern sonst war, so
            überwand doch dieser Anblick sein Herz; er glaubte
            nicht anders, als sein Kind liege zerschmettert am Weg;
            er raufte sich den Bart und jammerte. Aber nirgends, so
            weit er zurückritt, sah er eine Spur von dem Knaben;
            schon stellte er sich vor, das scheu gewordene Roß
            habe ihn in einen Wassergraben geschleudert, der neben
            dem Wege lag. Da hörte er von einer Kinderstimme
            hinter sich seinen Namen rufen, und als er sich flugs
            umwandte -sieh, da saß ein altes Weib unweit der
            Straße unter einem Baum und wiegte den Kleinen auf
            ihren Knien. 
            
            "Wie kommst du zu dem
            Knaben, alte Hexe?" schrie der Graf in großem Zorn.
            "Sogleich bringe ihn heran zu mir." 
            
            "Nicht so rasch, nicht
            so rasch, Euer Gnaden!" lachte die alte
            häßliche Frau. "Könntet sonst auch ein
            Unglück nehmen auf Eurem stolzen Roß! Wie ich
            zu dem Junkerlein kam, fragtet Ihr? Nun, sein Pferd ging
            durch, und er hing nur noch mit einem Füßchen
            angebunden, und das Haar streifte fast am Boden, da habe
            ich ihn aufgefangen mit meiner Schürze." 
            
            "Weiß schon!"
            rief der Herr von Zollern unmutig. "Gib ihn jetzt her;
            ich kann nicht wohl absteigen, das Roß ist wild und
            könnte ihn schlagen." 
            
            "Schenket mir einen
            Hirschgulden!" erwiderte die Frau demütig bittend.
            
            
            "Dummes Zeug!" schrie
            der Graf und warf ihr einige Pfennige unter den Baum.
            
            
            "Nein! Einen
            Hirschgulden könnte ich gut brauchen", fuhr sie
            fort. 
            
            "Was, Hirschgulden!
            Bist selbst einen Hirschgulden wert!" eiferte der Graf.
            "Schnell das Kind her, oder ich hetze die Hunde auf
            dich!" 
            
            "So? Bin ich keinen
            Hirschgulden wert?" antwortete jene mit höhnischem
            Lächeln. "Na! Man wird ja sehen, was von Eurem Erbe
            einen Hirschgulden wert ist ; aber da, die Pfennige
            behaltet für Euch." Indem sie dies sagte, warf sie
            die drei kleinen Kupferstücke dem Grafen zu, und so
            gut konnte die Alte werfen, daß alle drei ganz
            gerade in den kleinen Lederbeutel fielen, den der Graf
            noch in der Hand hielt. 
            
            Der Graf wußte
            einige Minuten vor Staunen über diese wunderbare
            Geschicklichkeit kein Wort hervorzubringen, endlich aber
            löste sich sein Staunen in Wut auf. Er faßte
            seine Büchse, spannte den Hahn und zielte dann auf
            die Alte. Diese herzte und küßte ganz ruhig
            den kleinen Grafen, indem sie ihn so vor sich hin hielt
            daß ihn die Kugel zuerst hätte treffen
            müssen. "Bist ein guter, frommer Junge", sprach sie,
            "bleibe nur so, und es wird dir nichts fehlen." Dann
            ließ sie ihn los, drohte dem Grafen mit dem Finger:
            "Zollern, Zollern, den Hirschgulden bleibt Ihr mir noch
            schuldig!" rief sie und schlich, unbekümmert um die
            Schimpfworte des Grafen, an einem Buchsbaumstäbchen
            in den Wald. Konrad, der Knappe, aber stieg zitternd von
            seinem Roß, hob das Herrlein in den Sattel, schwang
            sich hinter ihm auf und ritt seinem Gebieter nach, den
            Schloßberg hinauf. 
            
            Es war dies das erste
            und letzte Mal gewesen, daß das böse Wetter
            von Zollern sein Söhnlein mitnahm zum
            Spazierenreiten; denn er hielt ihn, weil er geweint und
            geschrien, als die Pferde im Trab gingen, für einen
            weichlichen Jungen, aus dem nicht viel Gutes zu machen
            sei, sah ihn nur mit Unlust an, und sooft der Knabe, der
            seinen Vater herzlich liebte, schmeichelnd und freundlich
            zu seinen Knien kam, winkte er ihm fortzugehen und rief:
            "Weiß schon! Dummes Zeug!" Frau Hedwig hatte alle
            bösen Launen ihres Gemahls gerne getragen, aber
            dieses unfreundliche Benehmen gegen das unschuldige Kind
            kränkte sie tief; sie erkrankte mehrere Male aus
            Schrecken, wenn der finstere Graf den Kleinen wegen
            irgend eines geringen Fehlers hart abgestraft hatte, und
            starb endlich in ihren besten Jahren, von ihrem Gesinde
            und der ganzen Umgegend, am schmerzlichsten aber von
            ihrem Sohne beweint. 
            
            Von jetzt an wandte
            sich der Sinn des Grafen nur noch mehr von dem Kleinen
            ab: Er gab ihn seiner Amme und dem Hauskaplan zur
            Erziehung und sah nicht viel nach ihm um, besonders da er
            bald darauf wieder ein reiches Fräulein heiratete,
            das ihm nach Jahresfrist Zwillinge, zwei junge
            Gräflein, schenkte. 
            
            Kunos liebster
            Spaziergang war zu dem alten Weiblein, die ihm einst das
            Leben gerettet hatte. Sie erzählte ihm immer vieles
            von seiner verstorbenen Mutter, und wieviel Gutes diese
            an ihr getan habe. Die Knechte und Mägde warnten ihn
            oft, er solle nicht soviel zu der Frau Feldheimerin, so
            hieß die Alte, gehen, weil sie nichts mehr und
            nichts weniger als eine Hexe sei; aber der Kleine
            fürchtete sich nicht, denn der Schloßkaplan
            hatte ihn gelehrt, daß es keine Hexen gebe und
            daß die Sage, daß gewisse Frauen zaubern
            können und auf der Ofengabel durch die Luft und auf
            den Brocken reiten, erlogen sei. Zwar sah er bei der Frau
            Feldheimerin allerlei Dinge, die er nicht begreifen
            konnte; des Kunststückchens mit den drei Pfennigen,
            die sie seinem Vater so geschickt in den Beutel geworfen,
            erinnerte er sich noch ganz wohl, auch konnte sie
            allerhand künstliche Salben und Tränklein
            bereiten, womit sie Menschen und Vieh heilte; aber das
            war nicht wahr, was man ihr nachsagte, daß sie eine
            Wetterpfanne habe, und wenn sie diese über das Feuer
            hänge, komme ein schreckliches Donnerwetter. Sie
            lehrte den kleinen Grafen mancherlei, was ihm
            nützlich war, zum Beispiel, allerlei Mittel für
            kranke Pferde, einen Trank gegen die Hundswut, eine
            Lockspeise für Fische und viele andere
            nützliche Sachen. Die Frau Feldheimerin war auch
            bald seine einzige Gesellschaft, denn seine Amme starb
            und seine Stiefmutter kümmerte sich nicht um ihn.
            
            
            Als seine Brüder
            nach und nach heranwuchsen, hatte Kuno ein noch
            traurigeres Leben als zuvor, sie hatten Glück, beim
            ersten Ritt nicht vom Pferde zu stürzen, und das
            böse Wetter von Zollern hielt sie daher für
            ganz vernünftige und taugliche Jungen, liebte sie
            ausschließlich, ritt alle Tage mit ihnen aus und
            lehrte sie alles, was er selbst verstand. Da lernten sie
            aber nicht viel Gutes; lesen und schreiben konnte er
            selbst nicht, und seine beiden trefflichen Söhne
            sollten sich auch nicht die Zeit damit verderben; aber
            schon in ihrem zehnten Jahre konnten sie so
            gräßlich fluchen als ihr Vater, fingen mit
            jedem Händel an, vertrugen sich unter sich selbst so
            schlecht wie ein Hund und Kater, und nur wenn sie gegen
            Kuno einen Streich verüben wollten, verbanden sie
            sich und wurden Freunde. 
            
            Ihrer Mutter machte
            dies nicht viel Kummer, denn sie hielt es für gesund
            und kräftig, wenn sich die Jungen balgten; aber dem
            alten Grafen sagte es eines Tages ein Diener, und er
            antwortete zwar: "Weiß schon, dummes Zeug!", nahm
            sich aber dennoch vor, für die Zukunft auf ein
            Mittel zu sinnen, daß sich seine Söhne nicht
            gegenseitig totschlügen; denn die Drohung der Frau
            Feldheimerin, die er in seinem Herzen für eine
            ausgemachte Hexe hielt: "Na, man wird ja sehen, was von
            Eurem Erbe einen Hirschgulden wert ist" -lag ihm noch
            immer in seinem Sinn. Eines Tages, da er in der Umgegend
            seines Schlosses jagte, fielen ihm zwei Berge ins Auge,
            die ihrer Form wegen wie zu Schlössern geschaffen
            schienen, und sogleich beschloß er, auch dort zu
            bauen. Er baute auf den einen das Schloß
            Schalkberg, das er nach dem kleineren der Zwillinge so
            nannte, weil dieser wegen allerlei böser Streiche
            längst von ihm den Namen "kleiner Schalk" erhalten
            hatte; das andere Schloß, das er baute, wollte er
            anfänglich Hirschguldenberg nennen, um die Hexe zu
            verhöhnen, weil sie sein Erbe nicht einmal eines
            Hirschguldens wert achtete, er ließ es aber bei
            einem einfachen Hirschberg bewenden, und so heißen
            die beiden Berge noch bis auf den heutigen Tag, und wer
            die Alb bereist, kann sie sich zeigen lassen. 
            
            Das böse Wetter
            von Zollern hatte anfänglich im Sinn, seinen
            ältesten Sohn Zollern, dem kleinen Schalk
            Schalksberg und dem andern Hirschberg im Testament zu
            vermachen; aber seine Frau ruhte nicht eher, bis er es
            änderte: "Der dumme Kuno", so nannte sie den armen
            Knaben, weil er nicht so wild und ausgelassen war wie
            ihre Söhne, "der dumme Kuno ist ohnedies reich genug
            durch das, was er von seiner Mutter erbte, und er soll
            auch noch das schöne, reiche Zollern haben? Und
            meine Söhne sollen nichts bekommen als jeder eine
            Burg, zu welcher nichts gehört als Wald?"
            
            
            Vergebens stellte ihr
            der Graf vor, daß man Kuno billigerweise das
            Erstgeburtsrecht nicht rauben dürfe, sie weinte und
            zankte so lange, bis das böse Wetter, das sonst
            niemand sich fügte, des lieben Friedens willen
            nachgab und im Testament dem kleinen Schalk Schalksberg,
            Wolf, dem größeren Zwillingsbruder, Zollern,
            und Kuno: Hirschberg mit dem Städtchen Balingen
            verschrieb. Bald darauf, nachdem er also verfügt
            hatte, fiel er auch in eine schwere Krankheit. Zu dem
            Arzt, der ihm sagte, daß er sterben müsse,
            sagte er: "Ich weiß schon!", und dem
            Schloßkaplan, der ihn ermahnte sich zu einem
            frommen Ende vorzubereiten, antwortete er : "Dummes
            Zeug!", fluchte und raste fort und starb, wie er gelebt
            hatte, roh und als ein großer Sünder.
            
            
            Aber sein Leichnam war
            noch nicht beigesetzt, so kam die Frau Gräfin schon
            mit dem Testament herbei, sagte zu Kuno, ihrem Stiefsohn,
            spöttisch, er möchte jetzt seine Gelehrsamkeit
            beweisen und selbst nachlesen, was im Testament stehe,
            nämlich daß er in Zollern nichts mehr zu tun
            habe, und freute sich mit ihren Söhnen über das
            schöne Vermögen und die beiden Schlösser,
            die sie ihm, dem Erstgeborenen, entrissen hatten.
            
            
            Kuno fügte sich
            ohne Murren in den Willen des Verstorbenen; aber mit
            Tränen nahm er Abschied von der Burg, wo er geboren
            worden, wo seine gute Mutter begraben lag und wo der gute
            Schloßkaplan und nahe dabei seine einzige alte
            Freundin, Frau Feldheimerin, wohnte. Das Schloß
            Hirschberg war zwar ein schönes, stattliches
            Gebäude, aber es war ihm doch zu einsam und
            öde, und er wäre bald krank vor Sehnsucht nach
            Hohenzollern geworden. 
            
            Die Gräfin und
            die Zwillingsbrüder, die jetzt achtzehn Jahre alt
            waren, saßen eines Abends auf dem Söller und
            schauten den Schloßberg hinab; da gewahrten sie
            einen stattlichen Ritter, der zu Pferde heraufritt und
            dem eine prachtvolle Sänfte, von zwei Maultieren
            getragen, und mehrere Knechte folgten. Sie rieten lange
            hin und her, wer es wohl sein möchte, da rief
            endlich der kleine Schalk: "Ei, das ist niemand anders
            als unser Herr Bruder von Hirschberg." 
            
            "Der dumme Kuno?"
            sprach die Frau Gräfin verwundert. "Ei, der wird uns
            die Ehre antun, uns zu sich einzuladen, und die
            schöne Sänfte hat er für mich mitgebracht,
            um mich abzuholen nach Hirschberg; nein, so viel
            Güte und Lebensart hätte ich meinem Herrn Sohn,
            dem dummen Kuno, nicht zugetraut; eine Höflichkeit
            ist der andern wert, lasset uns hinuntersteigen in das
            Schloßtor, ihn zu empfangen; macht auch freundliche
            Gesichter, vielleicht schenkt er uns in Hirschberg etwas,
            dir ein Pferd und dir einen Harnisch, und den Schmuck
            seiner Mutter hätte ich schon lange gerne gehabt."
            
            
            "Geschenkt mag ich
            nichts von dem dummen Kuno", antwortete Wolf, "und ein
            gutes Gesicht mache ich ihm auch nicht. Aber unserem
            seligen Herrn Vater könnte er meinetwegen bald
            folgen, dann würden wir Hirschberg erben und alles,
            und Euch, Frau Mutter, wollten wir den Schmuck um
            billigen Preis ablassen." 
            
            "So, du Range!"
            eiferte die Mutter. "Abkaufen soll ich Euch den Schmuck?
            Ist das der Dank dafür, daß ich Euch Zollern
            verschafft habe? Kleiner Schalk, nicht wahr, ich soll den
            Schmuck umsonst haben?" 
            
            "Umsonst ist der Tod,
            Frau Mutter!" erwiderte der Sohn lachend. "Und wenn es
            wahr ist, daß der Schmuck so viel wert ist als
            manches Schloß, so werden wir wohl nicht die Toren
            sein, ihn Euch um den Hals zu hängen. Sobald Kuno
            die Augen schließt, reiten wir hinunter, teilen ab,
            und meinen Part am Schmuck verkaufe ich. Gebt ihr dann
            mehr als der Jude, Frau Mutter, so sollt Ihr ihn haben."
            
            
            Sie waren unter diesem
            Gespräche bis unter das Schloßtor gekommen,
            und mit Mühe zwang sich die Frau Gräfin, ihren
            Grimm über den Schmuck zu unterdrücken, denn
            soeben ritt Graf Kuno über die Zugbrücke. Als
            er seiner Stiefmutter und seiner Brüder ansichtig
            wurde, hielt er sein Pferd an, stieg ab und
            grüßte höflich. Denn obgleich sie ihm
            viel Leids angetan, bedachte er doch, daß es seine
            Brüder seien und daß sein Vater diese
            böse Frau geliebt habe. 
            
            "Ei, das ist ja
            schön, daß der Herr Sohn uns auch besucht",
            sagte die Frau Gräfin mit süßer Stimme
            und huldreichem Lächeln. "Wie geht es denn auf
            Hirschberg? Kann man sich dort eingewöhnen? Und gar
            eine Sänfte hat man sich angeschafft? Ei, und wie
            prächtig es dürfte sich keine Kaiserin daran
            schämen; nun wird wohl auch die Hausfrau nicht mehr
            lange fehlen, daß sie darin im Lande umherreist.!"
            
            
            "Habe bis jetzt noch
            nicht daran gedacht, gnädige Frau Mutter", erwiderte
            Kuno, "will mir deswegen andere Gesellschaft zur
            Unterhaltung ins Haus nehmen und bin deswegen mit der
            Sänfte hierhergereist." 
            
            "Ei, Ihr seid gar
            gütig und besorgt", unterbrach ihn die Dame, indem
            sie sich verneigte und lächelte. 
            
            "denn er kommt doch
            nicht mehr gut zu Pferde fort", sprach Kuno ganz ruhig
            weiter, "der Pater Joseph nämlich, der
            Schloßkaplan. Ich will ihn zu mir nehmen, er ist
            mein alter Lehrer, und wir haben es so abgemacht, als ich
            Zollern verließ. Will auch unten am Berge die alte
            Frau Feldheimerin mitnehmen. Lieber Gott! Sie ist jetzt
            steinalt und hat mir einst das Leben gerettet, als ich
            zum erstenmal ausritt mit meinem seligen Vater; habe ja
            Zimmer genug in Hirschberg, und dort soll sie absterben."
            Er sprach es und ging durch den Hof, um den Pater
            Schloßkaplan zu holen. 
            
            Aber der Junker Wolf
            biß vor Grimm die Lippen zusammen, die Frau
            Gräfin wurde gelb vor Ärger, und der kleine
            Schalk lachte laut auf. "Was gebt Ihr mir für meinen
            Gaul, den ich von ihm geschenkt kriege?" sagte er.
            "Bruder Wolf, gib mir deinen Harnisch, den er dir
            gegeben, dafür. Ha, ha, ha, den Pater und die alte
            Hexe will er zu sich nehmen? Das ist ein schönes
            Paar, da kann er nun vormittags Griechisch lernen beim
            Kaplan und nachmittags Unterricht im Hexen nehmen, bei
            der Frau Feldheimerin. Ei! Was macht doch der dumme Kuno
            für Streiche." 
            
            "Er ist ein ganz
            gemeiner Mensch!" erwiderte die Frau Gräfin. "Und du
            solltest nicht darüber lachen, kleiner Schalk; das
            ist eine Schande für die ganze Familie, und man
            muß sich ja schämen vor der ganzen Umgebung,
            wenn es heißt, der Graf von Zollern hat die alte
            Hexe, die Feldheimerin, abgeholt in einer prachtvollen
            Sänfte und Maulesel dabei und läßt sie
            bei sich wohnen. Das hat er von seiner Mutter, die tat
            auch immer so gemein mit Kranken und schlechtem Gesindel.
            Ach, sein Vater würde sich im Sarge wenden,
            wüßte er es." 
            
            "Ja", setzte der
            kleine Schalk hinzu, "der Vater würde noch in der
            Gruft sagen: Weiß schon, dummes Zeug!" 
            
            "Wahrhaftig! Da kommt
            er mit dem alten Mann und schämt sich nicht, ihn
            selbst unter dem Arm zu führen", rief die Frau
            Gräfin mit Entsetzen, "kommt, ich will ihm nicht
            mehr begegnen." 
            
            Sie entfernten sich,
            und Kuno begleitete seinen alten Lehrer bis an die
            Brücke und half ihm selbst in die Sänfte; unten
            aber am Berge hielt er vor der Hütte der Frau
            Feldheimerin und fand sie schon fertig, mit einem
            Bündel voll Gläschen und Töpfchen und
            Tränklein und anderem Gerät nebst ihrem
            Buchsbaumstöcklein einzusteigen. 
            
            Es kam übrigens
            nicht also, wie die Frau Gräfin von Zollern in ihrem
            bösen Sinn hatte voraussehen wollen. In der ganzen
            Umgebung wunderte man sich nicht über Ritter Kuno.
            Man fand es schön und löblich, daß er die
            letzten Tage der alten Frau Feldheimerin aufheitern
            wollte, man pries ihn als einen frommen Herrn, weil er
            den Pater Joseph in sein Schloß aufgenommen hatte.
            Die einzigen, die ihm gram waren und auf ihn
            schmähten, waren seine Brüder und die
            Gräfin. Aber nur zu ihrem eigenen Schaden, denn man
            nahm allgemein ein Ärgernis an so unnatürlichen
            Brüdern, und zur Wiedervergeltung ging die Sage,
            daß sie mit ihrer Mutter schlecht und in
            beständigem Hader lebten und unter sich selbst sich
            alles mögliche zuleide täten. Graf Kuno von
            Zollern-Hirschberg machte mehrere Versuche, seine
            Brüder mit sich auszusöhnen; denn es war ihm
            unerträglich, wenn sie oft an seiner Feste
            vorbeiritten, aber nie einsprachen, wenn sie ihm in Wald
            und Feld begegneten und ihn kälter
            begrüßten als einen Landfremden. Aber seine
            Versuche schlugen fehl, und er wurde noch überdies
            von ihnen verhöhnt. Eines Tages fiel ihm noch ein
            Mittel ein, wie er vielleicht ihre Herzen gewinnen
            könnte, denn er wußte, sie waren geizig und
            habgierig. Es lag ein Teich zwischen den drei
            Schlössern, beinahe in der Mitte, jedoch so,
            daß er noch in Kunos Revier gehörte. In diesem
            Teich befanden sich aber die besten Hechte und Karpfen
            der ganzen Umgebung, und es war für die Brüder,
            die gerne fischten, ein nicht geringer Verdruß,
            daß ihr Vater vergessen hatte, den Teich auf ihr
            Teil zu schreiben. Sie waren zu stolz, um ohne Vorwissen
            ihres Bruders dort zu fischen, und doch mochten sie ihm
            auch kein gutes Wort geben, daß er es ihnen
            erlauben möchte. Nun kannte er aber seine
            Brüder, daß ihnen der Teich am Herzen liege;
            er lud sie daher eines Tages ein, mit ihm dort
            zusammenzukommen. 
            
            Es war ein
            schöner Frühlingsmorgen, als beinahe in
            demselben Augenblicke die drei Brüder von den drei
            Burgen dort zusammenkamen. "Ei! sieh da!" rief der kleine
            Schalk. "Das trifft sich ordentlich! Ich bin mit Schlag
            sieben Uhr von Schalkberg weggeritten." 
            
            "Ich auch -und ich",
            antworteten die Brüder vom Hirschberg und vom
            Zollern. 
            
            "Nun, da muß der
            Teich hier gerade in der Mitte liegen", fuhr der Kleine
            fort. "Es ist ein schönes Wasser." 
            
            "Ja, und ebendarum
            habe ich euch hierherbeschieden. Ich weiß, ihr seid
            beide große Freunde vom Fischen, und ob ich gleich
            auch zuweilen gerne die Angel auswerfe, so hat doch der
            Weiher Fische genug für drei Schlösser, und an
            seinen Ufern ist Platz genug für unserer drei,
            selbst wenn wir alle auf einmal angeln kämen. Darum
            will ich von heute an, daß dieses Wasser Gemeingut
            für uns sei, und jeder von euch soll gleiche Rechte
            daran haben wie ich." 
            
             
            
            "Ei, der Herr Bruder
            ist ja gewaltig gnädig gestimmt", sprach der kleine
            Schalk mit höhnischem Lächeln, "gibt uns
            wahrhaftig sechs Morgen Wasser und ein paar hundert
            Fischlein! Nu -und was werden wir dagegen geben
            müssen? Denn umsonst ist der Tod!" 
            
             
            
            "Umsonst sollt ihr ihn
            haben", sprach Kuno, "ach, ich möchte euch ja nur
            zuweilen an diesem Teich sehen und sprechen. Sind wir
            doch eines Vaters Söhne." 
            
             
            
            "Nein", erwiderte der
            vom Schalkberg, "das ginge schon nicht, denn es ist
            nichts Einfältigeres, als in Gesellschaft zu
            fischen, es verjagt immer einer dem andern die Fische.
            Wollen wir aber Tage ausmachen, etwa Montag und
            Donnerstag du, Kuno, Dienstag und Freitag Wolf, Mittwoch
            und Sonnabend ich -so ist es mir ganz recht." 
            
             
            
            "Mir nicht einmal
            dann!" rief der finstere Wolf. "Geschenkt will ich nichts
            haben und will auch mit niemand teilen. Du hast recht,
            Kuno, daß du uns den Weiher anbietest, denn wir
            haben eigentlich alle drei gleichen Anteil daran, aber
            lasset uns darum würfeln, wer ihn in Zukunft
            besitzen soll; werde ich glücklicher sein als ihr,
            so könnt ihr immer bei mir anfragen, ob ihr fischen
            dürftet." 
            
            "Ich würfle nie",
            entgegnete Kuno, traurig über die Verstocktheit der
            Brüder. 
            
            "Ja, freilich", lachte
            der kleine Schalk, "er ist ja gar fromm und
            gottesfürchtig, der Herr Bruder, und hält das
            Würfelspiel für eine Todsünde. Aber ich
            will euch etwas vorschlagen, woran sich der frömmste
            Klausner nicht schämen dürfte. Wir wollen uns
            Angelschnüre und Haken holen, und wer diesen Morgen,
            bis die Glocke in Zollern zwölf Uhr schlägt,
            die meisten Fische angelt, soll den Weiher eigen haben."
            
            
            "Ich bin eigentlich
            ein Tor", sagte Kuno, "um das noch zu kämpfen, was
            mir mit Recht als Erbe zugehört. Aber damit ihr
            sehet, daß es mir mit der Teilung Ernst war, will
            ich mein Fischgerät holen." 
            
            Sie ritten heim, jeder
            nach seinem Schloß. Die Zwillinge schickten in
            aller Eile ihre Diener aus, ließen aller alten
            Steine aufheben, um Würmer zur Lockspeise für
            die Fische im Teiche zu finden, Kuno aber nahm sein
            gewöhnliches Angelzeug und die Speise, die ihn einst
            Frau Feldheimerin zubereiten gelehrt, und war der erste,
            der wieder auf dem Platze erschien. Er ließ, als
            die beiden Zwillinge kamen, diesen die besten und
            bequemsten Stellen auswählen und warf dann selbst
            seine Angel aus. Da war es, als ob die Fische in ihm den
            Herrn dieses Teiches erkannt hätten. Ganze Züge
            von Karpfen und Hechten zogen heran und wimmelten um
            seine Angeln. Die ältesten und größten
            drängten die kleinen weg, jeden Augenblick zog er
            einen heraus, und wenn er die Angel wieder ins Wasser
            warf, sperrten schon zwanzig, dreißig die
            Mäuler auf, um an den spitzigen Haken
            anzubeißen. Es hatte noch nicht zwei Stunden
            gedauert, so lag der Boden um ihn her voll der
            schönsten Fische. Da hörte er auf zu fischen
            und ging zu seinen Brüdern, um zu sehen, was
            für Geschäfte sie machten. Der kleine Schalk
            hatte einen kleinen Karpfen und zwei elende
            Weißfische; Wolf drei Barben und zwei kleine
            Gründlinge, und beide schauten trübselig in den
            Teich, denn sie konnten die ungeheure Menge die Kuno
            gefangen, gar wohl von ihrem Platze aus bemerken. Als
            Kuno an seinem Bruder Wolf herankam, sprang dieser halb
            wütend auf, zerriß die Angelschnur, brach die
            Rute in Stücke und warf sie in den Teich. "Ich
            wollte, es wären tausend Haken, die ich hineinwerfe,
            statt des einen, und an jedem müßte eine von
            diesen Kreaturen zappeln", rief er; "aber mit rechten
            Dingen geht es nimmer zu, es ist Zauberspiel und
            Hexenwerk, wie solltest du denn, dummer Kuno, mehr Fische
            fangen in einer Stunde als ich in einem Jahr?"
            
            
            "Ja, ja, jetzt
            erinnere ich mich", fuhr der kleine Schalk fort, "bei der
            Frau Feldheimerin, bei der schnöden Hexe, hat er das
            Fischen gelernt, und wir waren Toren, mit ihm zu fischen;
            er wird doch bald Hexenmeister werden." 
            
            "Ihr schlechten
            Menschen!" entgegnete Kuno unmutig. "Diesen Morgen habe
            ich hinlänglich Zeit gehabt, euren Geiz, eure
            Unverschämtheit und eure Roheit einzusehen. Geht
            jetzt und kommt nie wieder hierher und glaubt mir, es
            wäre für eure Seelen besser, wenn ihr nur halb
            so fromm und gut wäret wie diese Frau, die ihr eine
            Hexe scheltet." 
            
            "Nein, eine
            eigentliche Hexe ist sie nicht", sagte der Schalk
            spöttisch lachend. "Solche Weiber können
            wahrsagen, aber Frau Feldheimerin ist sowenig eine
            Wahrsagerin, als eine Gans ein Schwan werden kann. Hat
            sie doch dem Vater gesagt, von seinem Erbe werde man
            einen guten Teil um einen Hirschgulden kaufen
            können, das heißt, er werde ganz verlumpen,
            und doch hat bei seinem Tode alles ihm gehört, so
            weit man von der Zinne von Zollern sehen kann! Geh, geh,
            Frau Feldheimerin ist nichts als ein törichtes altes
            Weib und du der dumme Kuno." 
            
            Nach diesen Worten
            entfernte sich der Kleine eilig, denn er fürchtete
            den starken Arm seines Bruders, und Wolf folgte ihm,
            indem er alle Flüche hersagte, die er von seinem
            Vater gelernt hatte. 
            
            In tiefster Seele
            betrübt ging Kuno nach Hause, denn er sah jetzt
            deutlich, daß seine Brüder nie mehr mit ihm
            sich vertragen wollten. Er nahm sich auch ihrer harten
            Worte so sehr zu Herzen, daß er des andern Tages
            sehr krank wurde, und nur der Trost des würdigen
            Paters Joseph und die kräftigen Tränklein der
            Frau Feldheimerin retteten ihn vom Tode. 
            
            Als aber seine
            Brüder erfuhren, daß ihr Bruder Kuno schwer
            darniederliege, hielten sie ein fröhliches Bankett,
            und im Weinmut sagten sie sich zu, wenn der dumme Kuno
            sterbe, so solle der, welcher es zuerst erfahre, alle
            Kanonen lösen, um es dem andern anzuzeigen, und wer
            zuerst schieße, solle das beste Faß Wein aus
            Kunos Keller vorwegnehmen dürfen. Wolf ließ
            nun von da an immer einen Diener in der Nähe von
            Hirschberg Wache halten, und der kleine Schalk bestach
            sogar einen Diener Kunos mit vielem Geld, damit er es ihm
            schnell anzeige, wenn sein Herr in den letzten Zügen
            liege. 
            
            Dieser Knecht aber war
            seinem milden und frommen Herrn mehr zugetan als dem
            bösen Grafen von Schalksberg. Er fragte also eines
            Abends Frau Feldheimerin teilnehmend nach dem Befinden
            seines Herrn, und als diese sagte, daß es ganz gut
            mit ihm stehe, erzählte er ihr den Anschlag der
            beiden Brüder, und daß sie Freudenschüsse
            tun wollten auf des Grafen Kuno Tod. Darüber
            ergrimmte die Alte sehr. Sie erzählte es flugs
            wieder dem Grafen, und als dieser an eine so große
            Lieblosigkeit seiner Brüder nicht glauben wollte, so
            riet sie ihm, er solle die Probe machen und aussprengen
            lassen, er sei tot, so werde man bald hören, ob sie
            kanonieren oder nicht. Der Graf ließ den Diener,
            den sein Bruder bestochen, vor sich kommen, befragte ihn
            nochmals und befahl ihm, nach Schalkberg zu reiten und
            sein nahes Ende zu verkünden. 
            
            Als nun der Knecht
            eilends den Hirschberg herabritt, sah ihn der Diener des
            Grafen Wolf von Zollern, hielt ihn an und fragte, wohin
            er so eilends zu reiten willens sei. "Ach", sagte dieser,
            "mein armer Herr wird diesen Abend nicht überleben,
            sie haben ihn alle aufgegeben." 
            
            "So? Ist's um diese
            Zeit?" rief jener, lief nach seinem Pferde, schwang sich
            auf und jagte so eilends nach Zollern und den
            Schloßberg hinan, daß sein Pferd am Tore
            niederfiel und er selbst nur noch "Graf Kuno stirbt!"
            rufen konnte, ehe er ohnmächtig wurde. Da donnerten
            die Kanonen von Hohenzollern herab, Graf Wolf freute sich
            mit seiner Mutter über das gute Faß Wein und
            das Erbe, den Teich, über den Schmuck und den
            starken Widerhall, den seine Kanonen gaben. Aber was er
            für Widerhall gehalten, waren die Kanonen von
            Schalksberg, und Wolf sagte lächelnd zu seiner
            Mutter: "So hat der Kleine auch einen Spion gehabt, und
            wir müssen auch den Wein gleichteilen wie das
            übrige Erbe." Dann aber saß er zu Pferde, denn
            er argwöhnte, der kleine Schalk möchte ihm
            zuvorkommen und vielleicht einige Kostbarkeiten des
            Verstorbenen wegnehmen, ehe er käme. 
            
            Aber am Fischteiche
            begegneten sich die beiden Brüder, und jeder
            errötete vor dem andern, wie beide zuerst nach
            Hirschberg hatten kommen wollen. Von Kuno sprachen sie
            kein Wort, als sie zusammen ihren Weg fortsetzten,
            sondern sie berateten sich brüderlich, wie man es in
            Zukunft halten wolle und wem Hirschberg gehören
            solle. Wie sie aber die Zugbrücke und in den
            Schloßhof ritten, da schaute ihr Bruder
            wohlbehalten und gesund zum Fenster heraus; aber Zorn und
            Unmut sprühten aus seinen Blicken. Die Brüder
            erschraken sehr, als sie ihn sahen, hielten ihn
            anfänglich für ein Gespenst und bekreuzten
            sich; als sie aber sahen, daß er noch Fleisch und
            Blut habe, rief Wolf: "Ei, so wollt' ich doch! Dummes
            Zeug, ich glaubte, du wärest gestorben." 
            
            "Nun, aufgeschoben ist
            nicht aufgehoben", sagte der Kleine, der mit giftigen
            Blicken nach seinem Bruder hinaufschaute. 
            
            Dieser aber sprach mit
            donnernder Stimme: "Von dieser Stunde an sind alle Bande
            der Verwandtschaft zwischen uns los und ledig. Ich habe
            eure Freudenschüsse wohl vernommen, aber sehet zu,
            auch ich habe fünf Feldschlangen hier auf dem Hofe
            stehen und habe sie euch zu Ehren scharf laden lassen.
            Machet, daß ihr aus dem Bereiche meiner Kugeln
            kommt, oder ihr sollt erfahren, wie man auf Hirschberg
            schießt." Sie ließen es sich nicht zweimal
            sagen, denn sie sahen ihm an, wie Ernst es ihm war; sie
            gaben also ihren Pferden die Sporen und hielten einen
            Wettlauf den Berg hinunter, und ihr Bruder schoß
            eine Stückkugel hinter ihnen her, die über
            ihren Köpfen wegsauste, daß sie beide zugleich
            eine tiefe und höfliche Verbeugung machten; er
            wollte sie aber nur schrecken und nicht verwunden. "Warum
            hast du denn geschossen?" fragte der kleine Schalk
            unmutig. "Du Tor, ich schoß nur, weil ich dich
            hörte." 
            
            "Im Gegenteil, frag
            nur die Mutter!" erwiderte Wolf. "Du warst es, der zuerst
            schoß, und du hast diese Schande über uns
            gebracht, kleiner Dachs." 
            
            Der Kleine blieb ihm
            keinen Ehrentitel schuldig, und als sie am Fischteich
            angekommen waren, gaben sie sich gegenseitig noch die vom
            alten Wetter von Zollern geerbten Flüche zum besten
            und trennten sich in Haß und Unlust. 
            
            Tags darauf aber
            machte Kuno sein Testament, und Frau Feldheimerin sagte
            zum Pater: "Ich wollte was wetten, er hat keinen guten
            Brief für die Schützen geschrieben." Aber so
            neugierig sie war und sooft sie in ihren Liebling drang,
            er sagte ihr nicht, was im Testament stehe, und sie
            erfuhr es auch nimmer, denn ein Jahr nachher verschied
            die gute Frau, und ihre Salben und Tränklein halfen
            ihr nichts; denn sie starb an keiner Krankheit, sondern
            am achtundneunzigsten Jahr, das auch einen ganz gesunden
            Menschen endlich unter den Boden bringen kann. Graf Kuno
            ließ sie bestatten, als ob sie nicht eine arme
            Frau, sondern seine Mutter gewesen wäre, und es kam
            ihm nachher noch viel einsamer vor auf seinem
            Schloß, besonders da der Pater Joseph der Frau
            Feldheimerin bald folgte. 
            
            Doch diese Einsamkeit
            fühlte er nicht sehr lange; der gute Kuno starb
            schon in seinem achtundzwanzigsten Jahre, und böse
            Leute behaupteten an Gift, das ihm der kleine Schalk
            beigebracht hätte. 
            
            Wie dem aber auch sei,
            einige Stunden nach seinem Tode vernahm man wieder den
            Donner der Kanonen, und in Zollern und Schalksberg tat
            man fünfundzwanzig Schüsse. "Diesmal hat er
            doch daran glauben müssen", sagte der Schalk, als
            sie unterwegs zusammentrafen. 
            
            "Ja", antwortete Wolf,
            "und wenn er noch einmal aufersteht und zum Fenster
            herausschimpft wie damals, so hab' ich ein Büchse
            bei mir, die ihn höflich und stumm machen soll."
            
            
            Als sie den
            Schloßberg hinanritten, gesellte sich ein Reiter
            mit Gefolge zu ihnen, den sie nicht kannten. Sie
            glaubten, er sei vielleicht ein Freund ihres Bruders und
            komme, um ihn beisetzen zu helfen. Daher gebärdeten
            sie sich kläglich, priesen vor ihm den Verstorbenen,
            beklagten sein frühes Hinscheiden, und der kleine
            Schalk preßte sich sogar einige
            Krokodilstränen aus. Der Ritter antwortete ihnen
            aber nicht, sondern ritt still und stumm an ihrer Seite
            den Hirschberg hinauf. "So, jetzt wollen wir es uns
            bequem machen und Wein herbei, Kellermeister, vom
            besten!" rief Wolf, als er abstieg. Sie gingen die
            Wendeltreppe hinauf und in den Saal; auch dahin folgte
            ihnen der stumme Reiter, und als sich die Zwillinge ganz
            breit an den Tisch gesetzt hatten, zog jener ein
            Silberstück aus dem Wams, warf es auf den
            Schiefertisch, daß es umherrollte und klingelte,
            und sprach: "So, und da habt ihr jetzt euer Erbe, und es
            wird just recht sein, ein Hirschgulden." Da sahen sich
            die beiden Brüder verwundert an, lachten und fragten
            ihn, was er damit sagen wolle. 
            
            Der Ritter aber zog
            ein Pergament hervor, mit hinlänglichen Siegeln,
            darin hatte der dumme Kuno alle Feindseligkeiten
            aufgezeichnet, die ihm die Brüder bei seinen
            Lebzeiten bewiesen, und am Ende hatte er verordnet und
            bekannt, daß sein ganzes Erbe, Hab und Gut,
            außer dem Schmuck seiner seligen Mutter, auf dem
            Fall seines Todes an Württemberg verkauft sei, und
            zwar -um einen elenden Hirschgulden! Um den Schmuck aber
            solle man in der Stadt Balingen ein Armenhaus erbauen.
            
            
            Da erstaunten nun die
            Brüder, abermals, lachten aber nicht dazu, sondern
            bissen die Zähne zusammen, denn sie konnten gegen
            Württemberg nichts ausrichten, und so hatten sie das
            schöne Gut, Wald, Feld, die Stadt Balingen und
            selbst -den Fischteich verloren und nichts geerbt als
            einen schlechten Hirschgulden. Den steckte Wolf trotzig
            in den Wams, sagte nicht ja und nicht nein, warf sein
            Barett auf den Kopf und ging trotzig und ohne Gruß
            an dem württembergischen Kommissär vorbei,
            schwang sich auf sein Roß und ritt nach Zollern.
            
            
            Als ihn aber am andern
            Morgen seine Mutter mit Vorwürfen plagte, daß
            sie Gut und Schmuck verscherzt hätten, ritt er
            hinüber zum Schalk auf Schalksburg: "Wollen wir
            unser Erbe verspielen oder vertrinken?" fragte er ihn.
            
            
            "Vertrinken ist
            besser", sagte der Schalk, "dann haben wir beide
            gewonnen. Wir wollen nach Balingen reiten und uns den
            Leuten zum Trotz dort sehen lassen, wenn wir auch gleich
            das Städtlein schmählich verloren." 
            
            "Und im Lamm schenkt
            man Roten, der Kaiser trinkt ihn nicht besser", setzte
            Wolf hinzu. 
            
            So ritten sie
            miteinander nach Balingen ins Lamm und fragten, was die
            Maß vom Roten koste, und tranken sich zu, bis der
            Gulden voll war. Dann stand Wolf auf, zog das
            Silberstück mit dem springenden Hirsch aus dem Wams,
            warf es auf den Tisch und sprach: "Da habt Ihr Euren
            Gulden, so wird's richtig sein." 
            
            Der Wirt aber nahm den
            Gulden, besah ihn von links, besah ihn rechts und sagte
            lächelnd: "Ja, wenn es kein Hirschgulden wär',
            aber gestern Nacht kam der Bote von Stuttgart, und heute
            früh hat man es ausgetrommelt im Namen des Grafen
            von Württemberg, dem jetzt das Städtlein eigen;
            die sind abgeschätzt, und gebt mir nur anderes
            Geld." 
            
            Da sahen sich die
            beiden Brüder erbleichend an. "Zahl aus", sagte der
            eine. "Hast du keine Münze?" sagte der andere; und
            kurz, sie mußten den Gulden schuldig bleiben im
            Lamm in Balingen. Sie zogen schweigend und nachdenkend
            ihren Weg; als sie aber an den Kreuzweg kamen, wo es
            rechts nach Zollern und links nach Schalksberg ging, da
            sagte der Schalk: "Wie nun? Jetzt haben wir sogar weniger
            geerbt als gar nichts, und der Wein war überdies
            schlecht." 
            
            "Jawohl", erwiderte
            sein Bruder. "Aber was die Feldheimerin sagte, ist doch
            eingetroffen: Seht zu, wieviel von seinem Erbe
            übrigbleiben wird um einen Hirschgulden! Jetzt haben
            wir nicht einmal eine Maß Wein dafür kaufen
            können." 
            
            "Weiß schon!"
            antwortete der von Schalksberg. 
            
            "Dummes Zeug!" sagte
            der Zollern und ritt zerfallen mit sich und der Welt
            seinem Schloß zu. 
            
            "Das ist die Sage von
            dem Hirschgulden", endete der Zirkelschmied, "und wahr
            soll sie sein. Der Wirt von Dürrwangen, das nicht
            weit von den drei Schlössern liegt, hat sie meinem
            guten Freund erzählt, der oft als Wegweiser
            über die Schwäbische Alb ging und immer in
            Dürrwangen einkehrte." 
            
            Die Gäste gaben
            dem Zirkelschmied Beifall. "Was man doch nicht alles
            hört in der Welt", rief der Fuhrmann. "Wahrhaftig,
            jetzt erst freut es mich, daß wir die Zeit nicht
            mit Kartenspielen verderbten, so ist es wahrlich besser,
            und gemerkt habe ich mir die Geschichte, daß ich
            sie morgen meinen Kameraden erzählen kann, ohne ein
            Wort zu fehlen." 
            
            "Mir fiel da,
            während Ihr so erzähltet, etwas ein", sagte der
            Student. 
            
            "Oh, erzählet,
            erzählet!" baten der Zirkelschmied und Felix.
            
            
            "Gut", antwortete
            jener, "ob die Reihe jetzt an mich kommt oder
            später, ist gleichviel; ich muß ja doch
            heimgeben, was ich gehört. Das, was ich
            erzählten will, soll sich wirklich einmal begeben
            haben." 
            
            Er setzte sich zurecht
            und wollte eben anfangen zu erzählen, als die Wirtin
            den Spinnrocken beiseite setzte und zu den Gästen an
            den Tisch trat. "Jetzt, ihr Herren, ist es Zeit, zu Bette
            zu gehen", sagte sie. "Es hat neun Uhr geschlagen, und
            morgen ist auch ein Tag." 
            
            "Ei, so gehe zu
            Bette!" rief des Student. "Setze noch eine Flasche Wein
            für uns hierher, und dann wollen wir dich nicht
            länger abhalten." 
            
            "Mitnichten",
            entgegnete sie grämlich, "solange noch Gäste in
            der Wirtsstube sitzen, können Wirtin und Dienstboten
            nicht weggehen. Und kurz und gut, ihr Herren, machet,
            daß ihr auf eure Kammern, kommt, mir wird die Zeit
            lange, und länger als neun Uhr darf in meinem Hause
            nicht gezecht werden." 
            
            "Was fällt Euch
            ein, Frau Wirtin?" sprach der Zirkelschmied staunend.
            "Was schadet es denn Euch, ob wir hier sitzen, wenn Ihr
            auch längst schlafet? Wir sind rechtliche Leute und
            werden Euch nichts wegtragen noch ohne Bezahlung
            fortgehen. Aber so lasse ich mir in keinem Wirtshaus
            ausbieten." 
            
            Die Frau rollte zornig
            die Augen: "Meint Ihr, ich werde wegen jedem Lumpen von
            Handwerksburschen, wegen jedem Straßenläufer,
            der mir zwölf Kreuzer zu verdienen gibt, meine
            Hausordnung ändern? Ich sag' euch jetzt zum
            letztenmal, daß ich den Unfug nicht leide!"
            
            
            Noch einmal wollte der
            Zirkelschmied etwas entgegnen, aber der Student sah ihn
            bedeutend an und winkte mit den Augen den übrigen.
            "Gut", sprach er, "wenn es die Frau Wirtin nicht haben
            will, so laßt uns auf unsere Kammern gehen. Aber
            Lichter möchten wir gerne haben, um den Weg zu
            finden." 
            
            "Damit kann ich nicht
            dienen!" entgegnete sie finster. "Die andern werden schon
            den Weg im Dunkeln finden, und für Euch ist dies
            Stümpchen hier hinlänglich; mehr habe ich nicht
            im Hause." 
            
            Schweigend nahm der
            junge Herr das Licht und stand auf. Die andern folgten
            ihm, und die Handwerksburschen nahmen ihre Bündel,
            um sie in der Kammer bei sich niederzulegen. Sie gingen
            dem Studenten nach, der ihnen die Treppe hinanleuchtete.
            
            
            Als sie oben
            angekommen waren, bat sie der Student, leise aufzutreten,
            schloß sein Zimmer auf und winkte ihnen herein.
            "Jetzt ist kein Zweifel mehr", sagte er, "sie will uns
            verraten; habt ihr nicht bemerkt, wie ängstlich sie
            uns zu Bette zu bringen suchte, wie sie uns alle Mittel
            abschnitt, wach und beisammen zu bleiben? Sie meint
            wahrscheinlich, wir werden uns jetzt niederlegen, und
            dann werde sie um so leichteres Spiel haben." 
            
            "Aber meint Ihr nicht,
            wir könnten noch entkommen?" fragte Felix. "Im Wald
            kann man doch eher auf Rettung denken als hier im
            Zimmer." 
            
            "Die Fenster sind auch
            hier vergittert", rief der Student, indem er vergebens
            versuchte, einen der Eisenstäbe des Gitters
            loszumachen. "Uns bleibt nur ein Ausweg , wenn wir
            entweichen wollen: durch die Haustür, aber ich
            glaube nicht, daß sie uns fortlassen werden."
            
            
            "Es käme auf den
            Versuch an", sprach der Fuhrmann; "ich will einmal
            probieren, ob ich in den Hof kommen kann. Ist dies
            möglich, so kehre ich zurück und hole euch
            nach." Die übrigen billigten diesen Vorschlag, der
            Fuhrmann legte die Schuhe ab und schlich sich auf den
            Zehen nach der Treppe; ängstlich lauschten seine
            Genossen oben im Zimmer, schon war er die Hälfte der
            Treppe glücklich und unbemerkt hinabgestiegen; aber
            als er sich dort um einen Pfeiler wandte, richtete sich
            plötzlich eine ungeheure Dogge vor ihm in die
            Höhe, legte ihre Tatzen auf seine Schultern und wies
            ihm, gerade seinem Gesicht gegenüber, zwei Reihen
            langer, scharfer Zähne. Er wagte weder vor- noch
            rückwärts auszuweichen; denn bei der geringsten
            Bewegung schnappte der entsetzliche Hund nach seiner
            Kehle. Zugleich fing er an zu heulen und zu bellen, und
            alsobald erschien der Hausknecht und die Frau mit
            Lichtern. 
            
            "Wohin? Was wollt
            ihr?" rief die Frau-
            
            "Ich habe noch etwas
            in meinem Karren zu holen", antwortete der Fuhrmann, am
            ganzen Leibe zitternd; denn als die Türe aufgegangen
            war, hatte er mehrere braune, verdächtige Gesichter,
            Männer mit Büchsen in der Hand, im Zimmer
            bemerkt. 
            
            "Das hättet Ihr
            alles auch vorher abmachen können", sagte die Wirtin
            mürrisch. "Fassan daher! Schließ die
            Hoftüre zu, Jakob, und leuchte dem Mann an seinen
            Karren." Der Hund zog seine greuliche Schnauze und seine
            Tatzen von der Schulter des Fuhrmanns zurück und
            lagerte sich wieder quer über die Treppe, der
            Hausknecht aber hatte das Hoftor zugeschlossen und
            leuchtete dem Fuhrmann. An ein Entkommen war nicht zu
            denken. Aber als er nachsann, was er denn eigentlich aus
            dem Karren holen sollte, fiel ihm ein Pfund Wachslichter
            ein, die er in die nächste Stadt überbringen
            sollte. "Das Stümpchen Licht oben kann kaum noch
            eine Viertelstunde dauern", sagte er zu sich, "und Licht
            müssen wir dennoch haben!" Er nahm also zwei
            Wachskerzen aus dem Wagen, verbarg sie in die Ärmel
            und holte dann zum Schein seinen Mantel aus dem Karren,
            womit er sich, wie er dem Hausknecht sagte, heute nacht
            bedecken wolle. 
            
            Glücklich kam er
            wieder auf dem Zimmer an. Er erzählte von dem
            großen Hund, der als Wache an der Treppe liege, von
            den Männern, die er flüchtig gesehen, von allen
            Anstalten, die man gemacht, um sich ihrer zu versichern,
            und schloß damit, daß er seufzend sagte: "Wir
            werden diese Nacht nicht überleben." 
            
            "Das glaube ich
            nicht", erwiderte der Student, "für so töricht
            kann ich diese Leute nicht halten, daß sie wegen
            des geringen Vorteils, den sie von uns hätten, vier
            Menschen ans Leben gehen sollten. Aber verteidigen
            dürfen wir uns nicht. Ich für meinen Teil werde
            wohl am meisten verlieren: Mein Pferd ist schon in ihren
            Händen, es kostete mich fünfzig Dukaten noch
            vor vier Wochen; meine Börse, meine Kleider gebe ich
            willig hin; denn mein Leben ist mir am Ende doch lieber
            als alles dies." 
            
            "Ihr habt gut reden",
            erwiderte der Fuhrmann, "solche Sachen, wie Ihr sie
            verlieren könnt, ersetzt Ihr Euch leicht wieder;
            aber ich bin der Bote von Aschaffenburg und habe allerlei
            Güter auf meinem Karren, und im Stall zwei
            schöne Rosse, meinen einzigen Reichtum." 
            
            "Ich kann
            unmöglich glauben, daß sie Euch etwas zuleide
            tun werden", bemerkte der Goldschmied. "Einen Boten zu
            berauben würde schon viel Geschrei und Lärmen
            ins Land machen. Aber dafür bin ich auch, was der
            Herr dort sagt; lieber will ich gleich alles hergeben,
            was ich habe, und mit einem Eid versprechen, nichts zu
            sagen, ja niemals zu klagen, als mich gegen Leute, die
            Büchsen und Pistolen haben, um meine geringe Habe zu
            wehren." 
            
            Der Fuhrmann hatte
            während dieser Reden seine Wachskerzen
            hervorgezogen. Er klebte sie auf den Tisch und
            zündete sich an. "So laßt uns in Gottes Namen
            erwarten, was über uns kommen wird", sprach er; "wir
            wollen uns wieder zusammen niedersetzen und durch
            Sprechen den Schlaf abhalten." 
            
            "Das wollen wir",
            antwortete der Student. "Und weil vorhin die Reihe an mir
            stehengeblieben war, will ich euch etwas
            erzählen."
            
            Das
            kalte Herz