Die Enteignung der Kaufhauses Hermann Tietz "HER-TIE"

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Genau gegenüber dem Engelhardt-Haus am Alexanderplatz steht das Kaufhaus Hermann Tietz. Es gehört ebenso wie das Warenhaus des Cousins Leonhard Tietz, die Häuser Karstadt, Wertheim und KaDeWe zu den von den Nazis verfemten "Judenkaufhäusern". Um Arisierungsfälle dieser Größenordnung kümmern sich die Großbanken selbst.
 
14.000 Beschäftigte stünden auf der Straße falls Herrmann Tietz in Konkurs ginge. Für Industrie und Landwirtschaft würde es 130 Millionen Reichsmark Einnahmeausfall bedeuten, rechnet der NS-Wirtschaftsminister und frühere Allianz-Chef Dr. Kurt Schmitt aus. Dennoch drohen die Hausbanken, allen voran die Dresdner Bank, schon zum März 1933 mit der Kündigung der Kredite, noch vor dem großen Kaufboykott der Nazis.
 
Leonhard Tietz hat zu diesem Zeitpunkt noch etwa 20.000 Beschäftigte, neben Filialen im Reich auch noch Beteiligungen im westlichen Ausland. Im März erreichen die Boykottkampagnen gegen die Judenkaufhäuser, die angeblich den deutschen Mittelstand ruinieren, ihren ersten Höhepunkt.
 
O-Ton, Albert Ulrich Tietz:
"Mein Vater mit seinem Namen war sehr gefährdet. Ich weiß aus einer Geschichte meiner Mutter, daß sie ... Zum Boykott, am ersten April waren wir schon nicht mehr in Deutschland. Mein Vater kam aus Berlin zu einer Generalversammlung von Bijenkorf nach Amsterdam. Und meine Mutter, meine Großmutter und ich sind morgens, um nicht aufzufallen, mit einem Eilzug, morgens um fünf Uhr in Köln weggefahren, in Nimwegen umgestiegen, um dann über den ersten April weg zu sein. Und dann sind meine Eltern nachher zurück nach Köln. Bis meine Mutter dann ein paar Tage später angerufen wurde, von einem sehr treuen Herrn im Geschäft, einem Angestellten, der gesagt hat: "Ich hab irgendwo, bei `ner Versammlung gerade gehört: ‚Es wird jetzt Zeit. Jetzt nehmen wir den Tietz `mal hopps.'." Worauf mein Vater also sofort, bzw. unser Chauffeur meinen Vater sofort nach Saarbrücken gebracht hat."
 
Am Boykottag, dem 1. April 1933 kommt es vor dem Kaufhaus Tietz zu blutigen Zusammenstößen. Hermann Tietz steht vor dem Konkurs. Die drei Gesellschafter von Tietz haben sich zuvor in Berlin vergeblich mit den Kollegen des deutschen Warenhausverbandes beraten. In Köln warten am 31.März die Banker, die im Aufsichtsrat sitzen, auf Entscheidungen. Der Vorstand von Tietz tritt notgedrungen geschlossen zurück.
 
 
O-Ton, Albert-Ulrich Tietz:  
"Nachdem die Fensterscheiben eingeschlagen worden sind am ersten April, und, wie ich später hörte aus Geschichten heraus, daß der Wirtschaftsverband oder was immer in Berlin die Verwaltung war, verlangt hat, daß der Betrieb arisiert würde, indem also die jüdischen Direktoren ihre Ämter niederlegen würden und auch ihr Aktienkapital aufgeben würden."
 
Hier in der Wilhelmstraße in der Reichskanzlei sitzt Hitlers "Beauftragter für Wirtschaftsfragen" Wilhelm Keppler. Zur Erinnerung: Derselbe Keppler hat auch noch einen Schreibtisch im Gebäude der Dresdner Bank, gleich neben seinem Schwager, Prof. Meyer, Vorstandsmitglied der Dresdner Bank. So erfährt dieser sofort, wozu Tietz gezwungen wird: Die Aktien der Familie, Wert ca. 24 Millionen, werden im Paket für 8 Millionen angeboten. Der Kurs fällt sofort von 100 auf zehn. Die Banken kaufen. Am Ende erzielt Familie Tietz beim Zwangsverkauf gerade mal 800.000 Mark, die sie bei der Flucht nicht werden mitnehmen dürfen.
 
 
O-Ton, Albert-Ulrich Tietz:  
"Die Hauptprofiteure waren die Banken. Die haben nämlich wahrscheinlich den größten Teil des Aktienkapitals, das ein Jahr vorher, was weiß ich, 131 oder 135 war, mit zehn, mit 11 und 9 Mark übernommen."
 
Das weitere Schicksal der Kaufhäuser entscheiden nach dem 5. April 1933 die Dresdner, die Deutsche und die Commerz Bank. Aus Hermann Tietz wird Hertie, aus Leonhard Tietz wird Kaufhof. "Judenfreie" deutsche Konzerne, denen die Banken sofort großzügig Kredit gewähren.  
Familie Tietz entkommt über Holland nach Palästina. Margarete Tietz führt in Tel Aviv ein kleines Gästehaus. Auch für die anderen sogenannten "Judenkaufhäuser", für Karstadt, für Wertheim, für das KaDeWe finden sich Arisierer. So beginnt u.a. auch der Aufstieg von Helmut Horten.
 
 
Quelle:http://www.hintergrund.com/mrep/m019803.htm
Dresdner Bank - Drittes Reich - "Ein braunes Band der Sympathie "
Das Manuscript für den Film von Dagmar Christmann und Thomas Rautenberg
 
aufbereitet für U-Reihe "Nationalsozialismus" : Martin Schlu 2001

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