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Kulturgeschichte - Klassik


Anfangsseite Goethe

Faust
Zueignung
Vorspiel auf der Bühne
Prolog im Himmel
Studierstube
Auftreten des Erdgeistes
Chor der Engel
Osterspaziergang
Mephistos Auftreten
Pakt
Auerbachs Keller
Hexenküche
Straße I
Abend
Margarete mit einer Lampe Spaziergang
Der Nachbarin Haus
Straße II
Garten
Wald und Höhle
Gretchens Stube
Am Brunnen
Zwinger
Nacht
Dom
Walpurgisnacht
Walpurgistraum
Trüber Tag
Kerker

Johann Wolfgang von Goethe
Faust - Abend

zurück - Margarete mit einer Lampe - Spaziergang - weiter
 
Abend. Ein kleines reinliches Zimmer
Margarete ihre Zöpfe flechtend und aufbindend.
Ich gäb was drum, wenn ich nur wüßt,
Wer heut der Herr gewesen ist!
Er sah gewiß recht wacker aus
Und ist aus einem edlen Haus;
Das konnt ich ihm an der Stirne lesen-
Er wär auch sonst nicht so keck gewesen.
(ab)
 
Mephistopheles
Herein, ganz leise, nur herein!
 
Faust
(nach einigem Stillschweigen)
Ich bitte dich, laß mich allein!
 
Mephistopheles
(herumspürend)
Nicht jedes Mädchen hält so rein.
(ab)
 
Faust
(rings aufschauend)
Willkommen, süßer Dämmerschein,
Der du dies Heiligtum durchwebst!
Ergreif mein Herz, du süße Liebespein,
Die du vom Tau der Hoffnung schmachtend lebst!
Wie atmet rings Gefühl der Stille,
Der Ordnung, der Zufriedenheit!
In dieser Armut welche Fülle!
In diesem Kerker welche Seligkeit!
 
(Er wirft sich auf den ledernen Sessel am Bette)
O nimm mich auf, der du die Vorwelt schon
Bei Freud und Schmerz im offnen Arm empfangen!
Wie oft, ach! hat an diesem Väterthron
Schon eine Schar von Kindern rings gehangen!
Vielleicht hat, dankbar für den heil'gen Christ
Mein Liebchen hier, mit vollen Kinderwangen,
Dem Ahnherrn fromm die welke Hand geküßt.
Ich fühl o Mädchen, deinen Geist
Der Füll und Ordnung um mich säuseln,
Der mütterlich dich täglich unterweist
Den Teppich auf den Tisch dich reinlich breiten heißt,
Sogar den Sand zu deinen Füßen kräuseln.
O liebe Hand! so göttergleich!
Die Hütte wird durch dich ein Himmelreich.
Und hier!
 
(Er hebt einen Bettvorhang auf)
Was faßt mich für ein Wonnegraus! Hier möcht ich volle Stunden säumen.
Natur, hier bildetest in leichten Träumen
Den eingebornen Engel aus!
Hier lag das Kind! mit warmem Leben
Den zarten Busen angefüllt,
Und hier mit heilig reinem Weben
Entwirkte sich das Götterbild!
Und du! Was hat dich hergeführt?
Wie innig fühl ich mich gerührt!
Was willst du hier? Was wird das Herz dir schwer?
Armsel'ger Faust! ich kenne dich nicht mehr.
Umgibt mich hier ein Zauberduft?
Mich drang's, so grade zu genießen,
Und fühle mich in Liebestraum zerfließen!
Sind wir ein Spiel von jedem Druck der Luft?
Und träte sie den Augenblick herein,
Wie würdest du für deinen Frevel büßen!
Der große Hans, ach wie so klein!
Läg, hingeschmolzen, ihr zu Füßen.

Mephistopheles
(kommt)
Geschwind! ich seh sie unten kommen.
 
Faust
Fort! Fort! Ich kehre nimmermehr!
 
Mephistopheles
Hier ist ein Kästchen leidlich schwer,
Ich hab's wo anders hergenommen.
Stellt's hier nur immer in den Schrein,
Ich schwör Euch, ihr vergehn die Sinnen;
Ich tat Euch Sächelchen hinein,
Um eine andre zu gewinnen.
Zwar Kind ist Kind, und Spiel ist Spiel.
 
Faust
Ich weiß nicht, soll ich?
 
Mephistopheles
Fragt Ihr viel? Meint Ihr vielleicht den Schatz zu wahren?
Dann rat ich Eurer Lüsternheit,
Die liebe schöne Tageszeit
Und mir die weitre Müh zu sparen.
Ich hoff nicht, daß Ihr geizig seid!
Ich kratz den Kopf, reib an den Händen -
 
(Er stellt das Kästchen in den Schrein und drückt das Schloß wieder zu)
 
Nur fort! geschwind!
Um Euch das süße junge Kind
Nach Herzens Wunsch und Will zu wenden;
Und Ihr seht drein
Als solltet Ihr in den Hörsaal hinein,
Als stünden grau leibhaftig vor Euch da
Physik und Metaphysika!
Nur fort!
(ab)
 
 
 
Margarete mit einer Lampe
Es ist so schwül, so dumpfig hie
(sie macht das Fenster auf)
Und ist doch eben so warm nicht drauß.
Es wird mir so, ich weiß nicht wie-
Ich wollt, die Mutter käm nach Haus.
Mir läuft ein Schauer übern ganzen Leib-
Bin doch ein töricht furchtsam Weib!
 
(sie fängt an zu singen, indem sie sich auszieht)
Es war ein König in Thule
Gar treu bis an das Grab,
Dem sterbend seine Buhle
Einen goldnen Becher gab
.
Es ging ihm nichts darüber,
Er leert ihn jeden Schmaus;
Die Augen gingen ihm über,
Sooft er trank daraus.
 
Und als er kam zu sterben,
Zählt er seine Städt im Reich,
Gönnt alles seinem Erben,
Den Becher nicht zugleich.
 
Er saß beim Königsmahle,
Die Ritter um ihn her,
Auf hohem Vätersaale,
Dort auf dem Schloß am Meer.
 
Dort stand der alte Zecher,
Trank letzte Lebensglut
Und warf den heiligen Becher
Hinunter in die Flut.
 
Er sah ihn stürzen, trinken
Und sinken tief ins Meer,
Die Augen täten ihm sinken,
Trank nie einen Tropfen mehr.
 
(Sie eröffnet den Schrein, ihre Kleider einzuräumen, und erblickt das Schmuckkästchen)
 
Wie kommt das schöne Kästchen hier herein?
Ich schloß doch ganz gewiß den Schrein.
Es ist doch wunderbar! Was mag wohl drinne sein?
Vielleicht bracht's jemand als ein Pfand,
Und meine Mutter lieh darauf.
Da hängt ein Schlüsselchen am Band
Ich denke wohl, ich mach es auf!
Was ist das? Gott im Himmel! Schau,
So was hab ich mein Tage nicht gesehn!
Ein Schmuck! Mit dem könnt eine Edelfrau
Am höchsten Feiertage gehn.
Wie sollte mir die Kette stehn?
Wem mag die Herrlichkeit gehören?
(Sie putzt sich damit auf und tritt vor den Spiegel.)
 
Wenn nur die Ohrring meine wären!
Man sieht doch gleich ganz anders drein.
Was hilft euch Schönheit, junges Blut?
Das ist wohl alles schön und gut,
Allein man läßt's auch alles sein;
Man lobt euch halb mit Erbarmen.
Nach Golde drängt,
Am Golde hängt
Doch alles. Ach wir Armen!
 
 
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Spaziergang
Faust in Gedanken auf und ab gehend. Zu ihm Mephistopheles.
 
Mephistopheles
Bei aller verschmähten Liebe! Beim höllischen Elemente!
Ich wollt, ich wüßte was Ärgers, daß ich's fluchen könnte!
 
Faust
Was hast? was kneipt dich denn so sehr?
So kein Gesicht sah ich in meinem Leben!
 
Mephistopheles
Ich möcht mich gleich dem Teufel übergeben,
Wenn ich nur selbst kein Teufel wär.
 
Faust
Hat sich dir was im Kopf verschoben?
Dich kleidet's wie ein Rasender zu toben!
 
Mephistopheles
Denkt nur, den Schmuck, für Gretchen angeschafft,
Den hat ein Pfaff hinweggerafft!
Die Mutter kriegt das Ding zu schauen
Gleich fängt's ihr heimlich an zu grauen,
Die Frau hat gar einen feinen Geruch,
Schnuffelt immer im Gebetbuch
Und riecht's einem jeden Möbel an,
Ob das Ding heilig ist oder profan;
Und an dem Schmuck da spürt, sie's klar,
Daß dabei nicht viel Segen war.
»Mein Kind«, rief sie, »ungerechtes Gut
Befängt die Seele, zehrt auf das Blut.
Wollen's der Mutter Gottes weihen,
Wird uns mit Himmelsmanna erfreuen!«
Margretlein zog ein schiefes Maul,
Ist halt, dacht sie, ein geschenkter Gaul,
Und wahrlich! gottlos ist nicht der,
Der ihn so fein gebracht hierher.
Die Mutter ließ einen Pfaffen kommen;
Der hatte kaum den Spaß vernommen,
Ließ sich den Anblick wohl behagen.
Er sprach: »So ist man recht gesinnt!
Wer überwindet, der gewinnt.
Die Kirche hat einen guten Magen,
Hat ganze Länder aufgefressen
Und doch noch nie sich übergessen;
Die Kirch allein, meine lieben Frauen,
Kann ungerechtes Gut verdauen.«
 
Faust
Das ist ein allgemeiner Brauch,
Ein Jud und König kann es auch.
 
Mephistopheles
Strich drauf ein Spange, Kett und Ring',
Als wären's eben Pfifferling',
Dankt' nicht weniger und nicht mehr,
Als ob's ein Korb voll Nüsse wär,
Versprach ihnen allen himmlischen Lohn-
Und sie waren sehr erbaut davon.
 
Faust
Und Gretchen?
 
Mephistopheles
Sitzt nun unruhvoll, Weiß weder, was sie will noch soll,
Denkt ans Geschmeide Tag und Nacht,
Noch mehr an den, der's ihr gebracht.
 
Faust
Des Liebchens Kummer tut mir leid.
Schaff du ihr gleich ein neu Geschmeid!
Am ersten war ja so nicht viel.
 
Mephistopheles
O ja, dem Herrn ist alles Kinderspiel!
 
Faust
Und mach, und richt's nach meinem Sinn,
Häng dich an ihre Nachbarin!
Sei, Teufel, doch nur nicht wie Brei,
Und schaff einen neuen Schmuck herbei!
 
Mephistopheles
Ja, gnäd'ger Herr, von Herzen gerne.
 
(Faust ab)
So ein verliebter Tor verpufft
Euch Sonne, Mond und alle Sterne
Zum Zeitvertreib dem Liebchen in die Luft.
 
(ab)
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