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         Die
         Judenbuche 
         
         Inhaltsangabe
         - Hintergrund 
         
         1
         Ein
         Sittengemälde aus dem gebirgichten
         Westfalen  
         
         2 Das
         Dorf B. galt für die hochmütigste, schlauste und
         kühnste Gemeinde 
         
         3
         Das
         zweite Jahr dieser unglücklichen Ehe ward mit einem
         Sohne... 
         
         4
         Er
         war zwölf Jahre alt, als seine Mutter einen Besuch von
         ihrem.... 
         
         5
         Margreth
         stand ganz still und ließ die Kinder
         gewähren. 
         
         6
         Um
         diese Zeit wurden die schlummernden Gesetze 
         
         7
         Um
         Mittag saß Frau Margreth am Herd und kochte
         Tee. 
         
         8
         Die
         gerichtliche Untersuchung hatte ihren Anfang
         genommen, 
         
         9
         Am
         nächsten Sonntage stand Friedrich sehr früh
         auf, 
         
         10
         Es
         war sieben Uhr abends und alles in vollem
         Gange; 
         
         11
         Herr
         von S. war auf dem Heimwege verstimmt, 
         
         12
         Die
         Juden der Umgegend hatten großen Anteil
         gezeigt. 
         
         13
         In der Küche befanden sich außer dem Manne eine
         Frau 
         
         14
         Herr
         von S. hatte das innigste Mitleiden mit dem armen
         Schelm 
         
         
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                  | 
                       Annette
                     von Droste-Hülshoff 
                     Die Judenbuche 
                   | 
                
             
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            -  
 
            
            - Er war zwölf Jahre alt, als
            seine Mutter einen Besuch von ihrem jüngeren Bruder
            erhielt, der in Brede wohnte und seit der törichten
            Heirat seiner Schwester ihre Schwelle nicht betreten
            hatte. Simon Semmler war ein kleiner, unruhiger, magerer
            Mann mit vor dem Kopf liegenden Fischaugen und
            überhaupt einem Gesicht wie ein Hecht, ein
            unheimlicher Geselle, bei dem dicktuende Verschlossenheit
            oft mit ebenso gesuchter Treuherzigkeit wechselte, der
            gern einen aufgeklärten Kopf vorgestellt hätte
            und statt dessen für einen fatalen, Händel
            suchenden Kerl galt, dem jeder um so lieber aus dem Wege
            ging, je mehr er in das Alter trat, wo ohnehin
            beschränkte Menschen leicht an Ansprüchen
            gewinnen, was sie an Brauchbarkeit verlieren. Dennoch
            freute sich die arme Margreth, die sonst keinen der
            Ihrigen mehr am Leben hatte.
 
            
            -  
 
            
            - »Simon, bist du da?« sagte
            sie und zitterte, daß sie sich am Stuhle halten
            mußte. »Willst du sehen, wie es mir geht und
            meinem schmutzigen Jungen? - Simon betrachtete sie ernst
            und reichte ihr die Hand: »Du bist alt geworden,
            Margreth!« - Margreth seufzte: »Es ist mir
            derweil oft bitterlich gegangen mit allerlei
            Schicksalen.« - »Ja, Mädchen, zu spät
            gefreit hat immer gereut! Jetzt bist du alt, und das Kind
            ist klein. Jedes Ding hat seine Zeit. Aber wenn ein altes
            Haus brennt, dann hilft kein Löschen.« -
            Über Margreths vergrämtes Gesicht flog eine
            Flamme, so rot wie Blut.
 
            
            -  
 
            
            - »Aber ich höre, dein Junge
            ist schlau und gewichst«, fuhr Simon fort. -
            »Ei nun, so ziemlich, und dabei fromm.« -
            »Hum, 's hat mal einer eine Kuh gestohlen, der
            hieß auch Fromm. Aber er ist still und
            nachdenklich, nicht wahr? Er läuft nicht mit den
            anderen Buben?« - »Er ist ein eigenes
            Kind«, sagte Margreth wie für sich, »es
            ist nicht gut.« - Simon lachte hell auf: »Dein
            Junge ist scheu, weil ihn die anderen ein paarmal gut
            durchgedroschen haben. Das wird ihnen der Bursche schon
            wieder bezahlen. Hülsmeyer war neulich bei mir, der
            sagte: 'Es ist ein Junge wie 'n Reh'."
 
            
            -  
 
            
            - Welcher Mutter geht das Herz nicht
            auf, wenn sie ihr Kind loben hört? Der armen
            Margreth ward selten so wohl, jedermann nannte ihren
            Jungen tückisch und verschlossen. Die Tränen
            traten ihr in die Augen. »Ja, gottlob, er hat gerade
            Glieder.« - »Wie sieht er aus?« fuhr Simon
            fort. - »Er hat viel von dir, Simon,
            viel.«
 
            
            -  
 
            
            - Simon lachte: »Ei, das muß
            ein rarer Kerl sein, ich werde alle Tage schöner. An
            der Schule soll er sich wohl nicht verbrennen. Du
            läßt ihn die Kühe hüten? Ebenso gut.
            Es ist doch nicht halb wahr, was der Magister sagt. Aber
            wo hütet er? Im Telgengrund? im Roderholze? im
            Teutoburger Wald? auch des Nachts und früh?« -
            »Die ganzen Nächte durch; aber wie meinst du
            das?«
 
            
            -  
 
            
            - Simon schien dies zu
            überhören; er reckte den Hals zur Türe
            hinaus: »Ei, da kommt der Gesell! Vaterssohn! Er
            schlenkert gerade so mit den Armen wie dein seliger Mann.
            Und schau mal an! Wahrhaftig, der Junge hat meine blonden
            Haare!«
 
            
            -  
 
            
            - In der Mutter Züge kam ein
            heimliches, stolzes Lächeln; ihres Friedrichs blonde
            Locken und Simons rötliche Bürsten! Ohne zu
            antworten, brach sie einen Zweig von der nächsten
            Hecke und ging ihrem Sohne entgegen, scheinbar, eine
            träge Kuh anzutreiben, im Grunde aber, ihm einige
            rasche, halbdrohende Worte zuzuraunen; denn sie kannte
            seine störrische Natur, und Simons Weise war ihr
            heute einschüchternder vorgekommen als je. Doch ging
            alles über Erwarten gut; Friedrich zeigte sich weder
            verstockt noch frech, vielmehr etwas blöde und sehr
            bemüht, dem Ohm zu gefallen. So kam es denn dahin,
            daß nach einer halbstündigen Unterredung Simon
            eine Art Adoption des Knaben in Vorschlag brachte,
            vermöge deren er denselben zwar nicht gänzlich
            seiner Mutter entziehen, aber doch über den
            größten Teil seiner Zeit verfügen wollte,
            wofür ihm dann am Ende des alten Junggesellen Erbe
            zufallen solle, das ihm freilich ohnedies nicht entgehen
            konnte. Margreth ließ sich geduldig
            auseinandersetzen, wie groß der Vorteil, wie gering
            die Entbehrung ihrerseits bei dem Handel sei. Sie
            wußte am besten, was eine kränkliche Witwe an
            der Hülfe eines zwölfjährigen Knaben
            entbehrt, den sie bereits gewöhnt hat, die Stelle
            einer Tochter zu ersetzen. Doch sie schwieg und gab sich
            in alles. Nur bat sie den Bruder, streng, doch nicht hart
            gegen den Knaben zu sein.
 
            
            -  
 
            
            - »Er ist gut«, sagte sie,
            »aber ich bin eine einsame Frau; mein Kind ist nicht
            wie einer, über den Vaterhand regiert hat.«
            Simon nickte schlau mit dem Kopf: »Laß mich
            nur gewähren, wir wollen uns schon vertragen, und
            weißt du was? Gib mir den Jungen gleich mit, ich
            habe zwei Säcke aus der Mühle zu holen; der
            kleinste ist ihm grad recht, und so lernt er mir zur Hand
            gehen. Komm, Fritzchen, zieh deine Holzschuh an!« -
            Und bald sah Margreth den beiden nach, wie sie
            fortschritten, Simon voran, mit seinem Gesicht die Luft
            durchschneidend, während ihm die Schöße
            des roten Rocks wie Feuerflammen nachzogen. So hatte er
            ziemlich das Ansehen eines feurigen Mannes, der unter dem
            gestohlenen Sacke büßt; Friedrich ihm nach,
            fein und schlank für sein Alter, mit zarten, fast
            edlen Zügen und langen, blonden Locken, die besser
            gepflegt waren, als sein übriges Äußere
            erwarten ließ; übrigens zerlumpt,
            sonneverbrannt und mit dem Ausdruck der
            Vernachlässigung und einer gewissen rohen
            Melancholie in den Zügen. Dennoch war eine
            große Familienähnlichkeit beider nicht zu
            verkennen, und wie Friedrich so langsam seinem
            Führer nachtrat, die Blicke fest auf denselben
            geheftet, der ihn gerade durch das Seltsame seiner
            Erscheinung anzog, erinnerte er unwillkürlich an
            jemand, der in einem Zauberspiegel das Bild seiner
            Zukunft mit verstörter Aufmerksamkeit
            betrachtet.
 
            
            -  
 
            
            - Jetzt nahten die beiden sich der
            Stelle des Teutoburger Waldes, wo das Brederholz den
            Abhang des Gebirges niedersteigt und einen sehr dunkeln
            Grund ausfüllt. Bis jetzt war wenig gesprochen
            worden. Simon schien nachdenkend, der Knabe zerstreut,
            und beide keuchten unter ihren Säcken.
            Plötzlich fragte Simon: »Trinkst du gern
            Branntwein?« - Der Knabe antwortete nicht. »Ich
            frage, trinkst du gern Branntwein? Gibt dir die Mutter
            zuweilen welchen?« - »Die Mutter hat selbst
            keinen«, sagte Friedrich. - »So, so, desto
            besser! - Kennst du das Holz da vor uns?« -
            »Das ist das Brederholz.« - »Weißt
            du auch, was darin vorgefallen ist?« - Friedrich
            schwieg. Indessen kamen sie der düstern Schlucht
            immer näher. »Betet die Mutter noch so
            viel?« hob Simon wieder an. - »Ja, jeden Abend
            zwei Rosenkränze.« - »So? Und du betest
            mit?« - Der Knabe lachte halb verlegen mit einem
            durchtriebenen Seitenblick. - »Die Mutter betet in
            der Dämmerung vor dem Essen den einen Rosenkranz,
            dann bin ich meist noch nicht wieder da mit den
            Kühen, und den andern im Bette, dann schlaf ich
            gewöhnlich ein.« - »So, so, Geselle!«
            - Diese letzten Worte wurden unter dem Schirme einer
            weiten Buche gesprochen, die den Eingang der Schlucht
            überwölbte. Es war jetzt ganz finster; das
            erste Mondviertel stand am Himmel, aber seine schwachen
            Schimmer dienten nur dazu, den Gegenständen, die sie
            zuweilen durch eine Lücke der Zweige berührten,
            ein fremdartiges Ansehen zu geben. Friedrich hielt sich
            dicht hinter seinem Ohm; sein Odem ging schnell, und wer
            seine Züge hätte unterscheiden können,
            würde den Ausdruck einer ungeheuren, doch mehr
            phantastischen als furchtsamen Spannung darin
            wahrgenommen haben. So schritten beide rüstig voran,
            Simon mit dem festen Schritt des abgehärteten
            Wanderers, Friedrich schwankend und wie im Traum. Es kam
            ihm vor, als ob alles sich bewegte und die Bäume in
            den einzelnen Mondstrahlen bald zusammen, bald
            voneinander schwankten. Baumwurzeln und schlüpfrige
            Stellen, wo sich das Regenwasser gesammelt, machten
            seinen Schritt unsicher; er war einige Male nahe daran,
            zu fallen. Jetzt schien sich in einiger Entfernung das
            Dunkel zu brechen, und bald traten beide in eine ziemlich
            große Lichtung. Der Mond schien klar hinein und
            zeigte, daß hier noch vor kurzem die Axt
            unbarmherzig gewütet hatte. Überall ragten
            Baumstümpfe hervor, manche mehrere Fuß
            über der Erde, wie sie gerade in der Eile am
            bequemsten zu durchschneiden gewesen waren; die
            verpönte Arbeit mußte unversehens unterbrochen
            worden sein, denn eine Buche lag quer über dem Pfad,
            in vollem Laube, ihre Zweige hoch über sich
            streckend und im Nachtwinde mit den noch frischen
            Blättern zitternd. 
 
            
            -  
 
            
              
            
            -  
 
            
            - Simon blieb einen Augenblick stehen
            und betrachtete den gefällten Stamm mit
            Aufmerksamkeit. In der Mitte der Lichtung stand eine alte
            Eiche, mehr breit als hoch; ein blasser Strahl, der durch
            die Zweige auf ihren Stamm fiel, zeigte, daß er
            hohl sei, was ihn wahrscheinlich vor der allgemeinen
            Zerstörung geschützt hatte. Hier ergriff Simon
            plötzlich des Knaben Arm.
 
            
            -  
 
            
            - »Friedrich, kennst du den Baum?
            Das ist die breite Eiche.« - Friedrich fuhr zusammen
            und klammerte sich mit kalten Händen an seinen Ohm.
            »Sieh«, fuhr Simon fort, »hier haben Ohm
            Franz und der Hülsmeyer deinen Vater gefunden, als
            er in der Betrunkenheit ohne Buße und Ölung
            zum Teufel gefahren war.« - »Ohm, Ohm!«
            keuchte Friedrich. - »Was fällt dir ein? Du
            wirst dich doch nicht fürchten? Satan von einem
            Jungen, du kneipst mir den Arm! Laß los, los!«
            - Er suchte den Knaben abzuschütteln. - »Dein
            Vater war übrigens eine gute Seele; Gott wirds nicht
            so genau mit ihm nehmen. Ich hatt ihn so lieb wie meinen
            eigenen Bruder.« - Friedrich ließ den Arm
            seines Ohms los; beide legten schweigend den übrigen
            Teil des Waldes zurück, und das Dorf Brede lag vor
            ihnen mit seinen Lehmhütten und den einzelnen
            bessern Wohnungen von Ziegelsteinen, zu denen auch Simons
            Haus gehörte.
 
            
            -  
 
            
            - Am nächsten Abend saß
            Margreth schon seit einer Stunde mit ihrem Rocken vor der
            Tür und wartete auf ihren Knaben. Es war die erste
            Nacht, die sie zugebracht hatte, ohne den Atem ihres
            Kindes neben sich zu hören, und Friedrich kam noch
            immer nicht. Sie war ärgerlich und ängstlich
            und wußte, daß sie beides ohne Grund war. Die
            Uhr im Turm schlug sieben, das Vieh kehrte heim; er war
            noch immer nicht da, und sie mußte aufstehen, um
            nach den Kühen zu schauen. Als sie wieder in die
            dunkle Küche trat, stand Friedrich am Herde; er
            hatte sich vornüber gebeugt und wärmte die
            Hände an den Kohlen. Der Schein spielte auf seinen
            Zügen und gab ihnen ein widriges Ansehen von
            Magerkeit und ängstlichem Zucken. Margreth blieb in
            der Tennentür stehen, so seltsam verändert kam
            ihr das Kind vor.
 
            
            -  
 
            
            - »Friedrich, wie gehts dem
            Ohm?« Der Knabe murmelte einige unverständliche
            Worte und drängte sich dicht an die Feuermauer. -
            »Friedrich, hast du das Reden verlernt? Junge, tu
            das Maul auf! Du weißt ja doch, daß ich auf
            dem rechten Ohr nicht gut höre.« - Das Kind
            erhob seine Stimme und geriet dermaßen ins
            Stammeln, daß Margreth es um nichts mehr begriff. -
            »Was sagst du? Einen Gruß von Meister Semmler?
            Wieder fort? Wohin? Die Kühe sind schon zu Hause.
            Verfluchter Junge, ich kann dich nicht verstehen. Wart,
            ich muß einmal sehen, ob du keine Zunge im Munde
            hast!« - Sie trat heftig einige Schritte vor. Das
            Kind sah zu ihr auf mit dem Jammerblick eines armen,
            halbwüchsigen Hundes, der Schildwacht stehen lernt,
            und begann in der Angst mit den Füßen zu
            stampfen und den Rücken an der Feuermauer zu
            reiben.
 
            
            -  
 
            
            - Margreth stand still; ihre Blicke
            wurden ängstlich. Der Knabe erschien ihr wie
            zusammengeschrumpft, auch seine Kleider waren nicht
            dieselben, nein, das war ihr Kind nicht! und dennoch -.
            »Friedrich, Friedrich!« rief sie.
 
            
            -  
 
            
            - In der Schlafkammer klappte eine
            Schranktür, und der Gerufene trat hervor, in der
            einen Hand eine sogenannte Holschenvioline, das
            heißt einen alten Holzschuh, mit drei bis vier
            zerschabten Geigensaiten überspannt, in der anderen
            einen Bogen, ganz des Instrumentes würdig. So ging
            er gerade auf sein verkümmertes Spiegelbild zu,
            seinerseits mit einer Haltung bewußter Würde
            und Selbständigkeit, die in diesem Augenblicke den
            Unterschied zwischen beiden sonst merkwürdig
            ähnlichen Knaben stark hervortreten
            ließ.
 
            
            -  
 
            
            - »Da, Johannes!« sagte er
            und reichte ihm mit einer Gönnermiene das Kunstwerk,
            »da ist die Violine, die ich dir versprochen habe.
            Mein Spielen ist vorbei, ich muß jetzt Geld
            verdienen.« - Johannes warf noch einmal einen
            scheuen Blick auf Margreth, streckte dann langsam seine
            Hand aus, bis er das Dargebotene fest ergriffen hatte,
            und brachte es wie verstohlen unter die Flügel
            seines armseligen Jäckchens.
 
            
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