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Kulturgeschichte - 19. Jahrhundert


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Die Judenbuche

Inhaltsangabe - Hintergrund

1 Ein Sittengemälde aus dem gebirgichten Westfalen 

2 Das Dorf B. galt für die hochmütigste, schlauste und kühnste Gemeinde

3 Das zweite Jahr dieser unglücklichen Ehe ward mit einem Sohne...

4 Er war zwölf Jahre alt, als seine Mutter einen Besuch von ihrem....

5 Margreth stand ganz still und ließ die Kinder gewähren.

6 Um diese Zeit wurden die schlummernden Gesetze

7 Um Mittag saß Frau Margreth am Herd und kochte Tee.

8 Die gerichtliche Untersuchung hatte ihren Anfang genommen,

9 Am nächsten Sonntage stand Friedrich sehr früh auf,

10 Es war sieben Uhr abends und alles in vollem Gange;

11 Herr von S. war auf dem Heimwege verstimmt,

12 Die Juden der Umgegend hatten großen Anteil gezeigt.

13 In der Küche befanden sich außer dem Manne eine Frau

14 Herr von S. hatte das innigste Mitleiden mit dem armen Schelm

 Annette von Droste-Hülshoff
Die Judenbuche

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Um Mittag saß Frau Margreth am Herd und kochte Tee. Friedrich war krank heimgekommen, er klagte über heftige Kopfschmerzen und hatte auf ihre besorgte Nachfrage erzählt, wie er sich schwer geärgert über den Förster, kurz den ganzen eben beschriebenen Vorgang mit Ausnahme einiger Kleinigkeiten, die er besser fand für sich zu behalten. Margreth sah schweigend und trübe in das siedende Wasser. Sie war es wohl gewohnt, ihren Sohn mitunter klagen zu hören, aber heute kam er ihr so angegriffen vor wie sonst nie. Sollte wohl eine Krankheit im Anzuge sein? Sie seufzte tief und ließ einen eben ergriffenen Holzblock fallen.
 
»Mutter!« rief Friedrich aus der Kammer. - »Was willst du?« - »War das ein Schuß?« - »Aber nein, ich weiß nicht, was du meinst.« - »Es pocht mir wohl nur so im Kopfe«, versetzte er.
 
Die Nachbarin trat herein und erzählte mit leisem Flüstern irgendeine unbedeutende Klatscherei, die Margreth ohne Teilnahme anhörte. Dann ging sie. - »Mutter!« rief Friedrich. Margreth ging zu ihm hinein. »Was erzählte die Hülsmeyer?« - »Ach gar nichts, Lügen, Wind!« - Friedrich richtete sich auf. - »Von der Gretchen Siemers; du weißt ja wohl, die alte Geschichte; und ist doch nichts Wahres dran.« - Friedrich legte sich wieder hin. »ich will sehen, ob ich schlafen kann«, sagte er.
 
Margreth saß am Herde; sie spann und dachte wenig Erfreuliches. Im Dorfe schlug es halb zwölf; die Tür klinkte, und der Gerichtsschreiber Kapp trat herein. - »Guten Tag, Frau Mergel,« sagte er, »könnt Ihr mir einen Trunk Milch geben? Ich komme von M.« - Als Frau Mergel das Verlangte brachte, fragte er: »Wo ist Friedrich?« Sie war gerade beschäftigt, einen Teller hervorzulangen, und überhörte die Frage. Er trank zögernd und in kurzen Absätzen. »Wißt Ihr wohl«, sagte er dann, »daß die Blaukittel in dieser Nacht wieder im Masterholze eine ganze Strecke so kahl gefegt haben, wie meine Hand?« - »Ei, du frommer Gott!« versetzte sie gleichgültig. »Die Schandbuben«, fuhr der Schreiber fort, »ruinieren alles; wenn sie noch Rücksicht nähmen auf das junge Holz, aber Eichenstämmchen wie mein Arm dick, wo nicht einmal eine Ruderstange drin steckt! Es ist, als ob ihnen anderer Leute Schaden ebenso lieb wäre wie ihr Profit!« - »Es ist schade!« sagte Margreth.
 
Der Amtsschreiber hatte getrunken und ging noch immer nicht. Er schien etwas auf dem Herzen zu haben. »Habt Ihr nichts von Brandis gehört?« fragte er plötzlich. - »Nichts; er kommt niemals hier ins Haus.« - »So wißt ihr nicht, was ihm begegnet ist?« - »Was denn?« fragte Margreth gespannt. - »Er ist tot!« - »Tot!« rief sie, »was tot? Um Gottes willen! Er ging ja noch heute morgen ganz gesund hier vorüber mit der Flinte auf dem Rücken!« - »Er ist tot«, wiederholte der Schreiber, sie scharf fixierend, »von den Blaukitteln erschlagen. Vor einer Viertelstunde wurde die Leiche ins Dorf gebracht.«
 
Margreth schlug die Hände zusammen. - »Gott im Himmel, geh nicht mit ihm ins Gericht! Er wußte nicht, was er tat!« - »Mit ihm?« rief der Amtsschreiber, »mit dem verfluchten Mörder, meint Ihr?« Aus der Kammer drang ein schweres Stöhnen. Margreth eilte hin, und der Schreiber folgte ihr. Friedrich saß aufrecht im Bette, das Gesicht in die Hände gedrückt und ächzte wie ein Sterbender. - »Friedrich, wie ist dir?« sagte die Mutter. - »Wie ist dir?« wiederholte der Amtsschreiber. - »O mein Leib, mein Kopf!« jammerte er. - »Was fehlt ihm?« - »Ach, Gott weiß es«, versetzte sie; »er ist schon um vier mit den Kühen heimgekommen, weil ihm so übel war.« - »Friedrich, Friedrich, antworte doch! Soll ich zum Doktor?« - »Nein, nein«, ächzte er, »es ist nur Kolik, es wird schon besser.«
 
Er legte sich zurück; sein Gesicht zuckte krampfhaft vor Schmerz; dann kehrte die Farbe wieder. »Geht«, sagte er matt, »ich muß schlafen, dann gehts vorüber.« - »Frau Mergel«, sagte der Amtsschreiber ernst, »ist es gewiß, daß Friedrich um vier zu Hause kam und nicht wieder fortging?« - Sie sah ihn starr an. »Fragt jedes Kind auf der Straße. Und fortgehen? - wollte Gott, er könnt es!« - »Hat er Euch nichts von Brandis erzählt?« - »In Gottes Namen, ja, daß er ihn im Walde geschimpft und unsere Armut vorgeworfen hat, der Lump! - Doch Gott verzeih mir, er ist tot! - Geht!« fuhr sie heftig fort; »seid ihr gekommen, um ehrliche Leute zu beschimpfen? Geht!« - Sie wandte sich wieder zu ihrem Sohne, der Schreiber ging. - »Friedrich, wie ist dir?« sagte die Mutter. »Hast du wohl gehört? Schrecklich, schrecklich! ohne Beichte und Absolution!« - »Mutter, Mutter, um Gottes willen, laß mich schlafen; ich kann nicht mehr!«
 
In diesem Augenblick trat Johannes Niemand in die Kammer; dünn und lang wie eine Hopfenstange, aber zerlumpt und scheu, wie wir ihn vor fünf Jahren gesehen. Sein Gesicht war noch bleicher als gewöhnlich. »Friedrich«, stotterte er, »du sollst sogleich zum Ohm kommen, er hat Arbeit für dich; aber sogleich.« - Friedrich drehte sich gegen die Wand. - »Ich komme nicht«, sagte er barsch, »ich bin krank.« - »Du mußt aber kommen«, keuchte Johannes, »er hat gesagt, ich müßte dich mitbringen.« Friedrich lachte höhnisch auf: »Das will ich doch sehen!« - »Laß ihn in Ruhe, er kann nicht«, seufzte Margreth, »du siehst ja, wie es steht.« - Sie ging auf einige Minuten hinaus; als sie zurückkam, war Friedrich bereits angekleidet. - »Was fällt dir ein?« rief sie, »du kannst, du sollst nicht gehen!« - »Was sein muß, schickt sich wohl«, versetzte er und war schon zur Türe hinaus mit Johannes. - »Ach Gott«, seufzte die Mutter, »wenn die Kinder klein sind, treten sie uns in den Schoß, und wenn sie groß sind, ins Herz!«
 
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