| Spätrenaissance Venezianische
         Musik Anfangsseite Biographie
         G, Gabrielis Kompositionslehre
         Gabrielis1.
         Hintergründe
 2.
         Theorie
 3.
         Aufführungspraxis
 3.1.
         Raumhall und
         Modulationsgeschwindigkeit
 3.2.Aufstellung
         und Aufteilung der
         Chöre
 3.3.
         Stimmbesetzung, Einzelchöre und
         Verstärkungschöre
 3.4.
         Takt, Dirigat und Koordination der
         Chöre
 3.5.
         Realisation der Werke - Kommentar zu
         Notenausgaben.
 4.
         Beispiele5.
         Zusammenfassung
 6.
         Literatur
 
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                  | 3.4.
                     Takt und Dirigieren -Koordination der
                     Chöre
 aus:
                     Kompositionstechnik und Aufführungspraxis
                     mehrchöriger Werke der venetianischen
                     Spätrenaissance - dargestellt am Beispiel
                     Giovanni Gabrielis in San Marco/Venedig.
                     Überarbeitete Staatsarbeit von Martin
                     Schlu, Bonn 1984 / 16. 7. 2008
 |  Grundlagen
            -
            Tactus
            - Subdirigent(S.62)
            Seit dem 14./15.
            Jahrhundert haben sich - auf der Grundlage einer
            isometrischen Folge - die Zweier- und Drierteilung der
            Takwerte etabliert. Auf der Grundlage einer
            "longa", einer Note, die oft für einen Takt
            steht, geschieht die Teilung in zwei oder drei
            "brevis"-Noten (brevis = kurz). Dies
            können wiederum in zwei oder drei
            "semibrevis" unterteilt werden, jene wiederum in
            zwei oder drei "minima". Die Einteilung in eine
            dreizeitige Teilung symbolisiert die Heilige
            Dreifaltigkeit ohne Anfang und Ende und wird daher mit
            "tempus perfectum" bezeichnet. Nicht ganz so
            vollkommen ist die Zweiteilung, die daher die Bezeichnung
            "tempus imperfectum" erhält. Modern
            übertragen wäre das "tempus perfectum"
            ein Dreiertakt, das "tempus imperfectum" ein
            Zweier-Takt. Notiert wird das "tempus perfectum"
            mit einem Kreis (die göttliche Symbolik ohne Anfang
            und Ende), den man als punktierten Wert verstehen kann,
            das "tempus imperfectum" dagegen bekommt den
            Halbkreis (denn es ist nicht "vollkomen") und bezeichnet
            einen geraden Wert. Definiert wird hier also das,
            was gezählt wird: Das Metrum ist eine
            Dreier- oder Zweier-Einheit, mathematisch gesehen wird
            hier der "Nenner" eines Bruchs definiert. Die weitere Definition
            dessen, wieviel gezählt wird, also des
            eigentlichen Taktes, geschieht ebenfalls zwei- oder
            dreizeitig: Bei der "prolatio perfecta" ist es
            immer ein Dreiertakt, bei der "prolatio imperfecta"
            ist es immer ein ganzer oder ein halber Takt.
            Mathematisch gesehen wird hier also der "Zähler"
            eines Bruchs definiert. Es ergeben sich
            insgesamt folgende Möglichkeiten für die
            Beziehung "tempus" (Metrum) und "prolatio"
            (Takt) 
               
                  | "tempus
                     perfectum" | "tempus
                     imperfectum" |  
                  | Die Longa
                     wird in drei Brevis aufgeteilt
                     (gedrittelt) | Die Longa
                     wird in zwei Brevis aufgeteilt
                     (halbiert) |  
                  | "prolatio
                     perfecta" | "prolatio
                     imperfecta" | "prolatio
                     perfecta" | "prolatio
                     imperfecta" |  
                  | drei
                     Zähleineinheiten eines Dreiers
 | zwei
                     Zähleineinheiten eines Dreiers
 | drei
                     Zähleineinheiten eines Zweiers
 | zwei
                     Zähleineinheiten eines Zweiers
 |  
                  |  |   Umrechnung in
                     "moderne" Notation |  
                  | drei
                     punktierte Einheiten | zwei
                     punktierte Einheiten | drei
                     gerade Einheiten | zwei
                     gerade Einheiten |  
                  | Neuner-Takt | Sechser-Takt | Dreier-Takt | Zweier-Takt |  
                  | 3 x
                     3 | 2 x
                     3 | 3 x
                     2 | 2 x
                     2 |   Tactus 
            Grundlagen
            - Subdirigent
            - Seitenanfang
            (S.63)
            Das mittlere Metrum
            einer Semibrevis entspricht dem menschlichen Pulsschlag,
            also einem Tempo zwischen sechzig und achtzig
            Schlägen pro Minute. Wichtig ist an dieser Stelle,
            daß die Takteinteilung nicht die Bedeutung einer
            Schwerpunktsetzung im Sinne einer betonten Anfangszeit
            hat, sondern daß sie lediglich ein Maßstab
            für die Unterteilung der kleineren Notenwerte ist -
            es geht mehr um musikalischen Fluß. Soll ein schnelleres
            Tempo ausgeführt werden, schreibt man die
            Komposition nicht einfach in Minima, sondern zeigt durch
            eine Halbierung des Kreises, daß als
            Maßeinheit nun nicht mehr die "semibrevis"
            gilt, sondern die "brevis". Aus dem Strich, der
            als Zähleinheit nicht mehr die "semibrevis"
            gelten läßt, sondern die "brevis, wird
            später das "Alla breve"-Zeichen. Dabei gibt es eine
            weitere Drittelung bzw. Halbierung, denn die Semibrevis
            wird nun entweder zur "proportio dupla" oder zur
            "proportio tripla" . Diese weitere Unterteilung
            entspräche dann einer Achtel oder einer
            Triole. (S.64)
            Werden innerhalb
            eines Tempus die Proportionen verändert, so
            führt dies zu ryhtmischen Überlagerungen, weil
            bei gleicher Brevis durchaus binär und ternär
            geteilt werden kann, z.B. die Gleichzeitigkeit gerader
            Achtel gegen Triolenachtel absoluter Normalfall sind.
            Diese Überlagerung durch einfaches Verändern
            der "proportio" wird bei Ockeghem und Josquin zur
            Meisterschaft geführt, oft mit dem Nebeneffekt,
            daß diese Kompositionen nicht mehr so ohne Weiteres
            zu realisieren sind. Es ist also durchaus üblich,
            bei gleichbleibendem Metrum der "semibrevis" oder
            der "brevis" innerhalb der verschiedenen
            Relationen hin- und herzuspringen, üblich ist es
            aber auch, bestehende Prolationen umzudeuten und damit
            Einfluß auf das Tempo zu nehmen. 
            
            
                Bei der "proportio
            sesquialtera" wird eine bestehende "proportio
            dupla" durch die Erweiterung um eine Note zur
            "proportio tripla" umgedeutet. Weil beiden
            Relationen eine gemeinsame "brevis" zugeordnet
            ist, verlangsam sich das Tempo des neuen Taktes um ein
            Drittel, umgekehrt wird es ein Drittel schneller, wenn
            entsprechend anders umgedeutet wird. Eine Darstellung in
            moderner Notation macht es deutlicher: Was vorher zwei
            Halbe waren, werden nun drei Halbe (wie man das
            dirigiertechnisch macht, wird später
            erklärt): Hier eine typische
            Stelle, bei der das Halbe-Metrum beim Taktwechsel als
            ganzer Takt gezählt werden muß - also
            verdreifacht sich das Tempo:  und irgendwann am Ende
            des Stückes kommt die Verlangsamung zurück auf
            Tempo I - aus ganzen Takten werden wieder Halbe und das
            Tempo wird wieder gemütlicher. Gerade dies ist ein
            typisches Stilmittel der Werke Gabrielis, wenn es auf die
            letzten Takte zugeht.  (S.65)
            War der Tactus
            bekannt und waren die Aufteilungen - ob Zweizeitigkeit
            oder Dreizeitigkeit, abgesprochen, genügte es einige
            hundert Jahre, daß jemand aus dem Ensemble zu
            Beginn den Einsatz gab, denn an den Wechselstellen lief
            das Metrum ja weiter und der Puls blieb gleich. Mit dem
            Aufkommen größerer Chöre an den Stiften
            und Domen und dem instrumentalen Zusammenwirken
            größerer Ensembles wurde es aber nötig,
            daß sich die Instrumentalisten und Sänger auf
            jemanden einigten, der das Zeitmaß gab, damit man
            rechtzeitig atmen konnte. Spätestens ab dem
            Aufkommen verschiedener Taktzeiten (z.B. der
            "proportio sesquialtera") wurde es notwendig,
            jemanden mit der Taktierfunktion zu beauftragen, auch
            wenn es hauptberufliche Dirigenten erst wesentlich
            später nach Gabrieli gab. In San Marco sind aber
            Vorläufer der Dirigierberufe nachweisbar
            (Subdirigenten) und diese Musiker auf den Lohnlisten
            lassen auf eine gewisse Mindestgröße von ca.
            sechzehn Personen schließen, denen ein "maestro"
            vorstand. Auch von Orlando di Lasso (Gabrielis Lehrer)
            ist überliefert, daß er das Orchester am
            bayrischen Hof mit einem Stab dirigierte.  Subdirigent
            Grundlagen
            - Tactus
            - SeitenanfangMehrchörige
            Kompositionen benötigen nun auf jeden Fall einen
            Dirigenten, zumal, wenn die Chöre räumlich so
            weit getrennt sind, daß es nicht mehr möglich
            ist, nach Gehör die Stimmen zu singen oder zu
            spielen, weil man zu spät einsetzen würde. Die
            Laufzeitunterschiede
            in größeren Kirchen können mehrere
            Sekunden betragen und man kann als Musiker ab einer
            gewissen Größe nur noch "auf Sicht" spielen,
            weil die Schallreflexionen das Ohr verwirren.
            Ablösungen eines Chores bei gleichzeitigem Wechsel
            von Proportionen oder des Tempus sind ohne Dirigenten
            überhaupt nicht mehr durchzuführen, und diese
            Dinge sind bei Gabrieli stilbildendes Element. Auch wenn
            direkter Sichtkontakt der Musker untereinander besteht,
            braucht man den Dirigenten für die
            Vorbereitungsschläge, damit die Musiker wissen, was
            gleich passieren wird. Insofern ist zu
            unterscheiden zwischen den mensural notierten
            einchörigen Kompositionen für einen kleinen
            Chor, die ohne Dirigenten ausführbar sind (und
            ausgeführt wurden) wie etwa "Inclina Domine" zu
            sechs Stimmen oder "Ego dixi Domine" zu sieben Stimmen
            (beide aus den "Concerti" 1587) oder den ersten
            Stücken der "Symphoniae Sacrae" von 1597, die
            kontrapunktisch sechs- und siebenstimmig abgelegt sind
            ("Cantate Domino", "Exaudi Domine", "Beata es Virgo
            maria", "Miserere mei", "Benedixisti", "O quam suavis",
            Exaudi Deus" und "Santa Maria"). Diese Stücke sind
            in kleiner Besetzung, fast kammermusikalisch, ohne
            weiteres denkbar und aufzuführen und waren wohl auch
            für eine kleine Besetzung gedacht - vielleicht
            für die "favoriti".
             (S.66)
            Anders verhält
            es sich mit den mehrchörigen Werken, sie sind von
            ihrer Anlage her definitiv für einen Chor mit
            instrumental verstärktem Gegenchor konzipiert. Sie
            sind zwar ebenfalls mensural notiert, doch es ergeben
            sich durch die oft blockhaft gesetzten Chorabschnitte
            Schwerpunkte, die bei einer kontrapunktischen Denk- und
            Schreibweise gar nicht entstehen würden. Diese
            Schwerpunkte mit den von der Anlage her enthaltenen
            Wortbetonungen herauszuarbeiten und bei der
            Aufführung anzuzeigen, ist die große Aufgabe
            der Chordirigenten gewesen und wird es auch in Zukunft
            sein. Daher unterstand dem "maestro di capella"
            die eigentliche Chorarbeit, während der "maestro
            di strumenti" offenbar auf die klangliche Balance der
            Instrumentalgruppe zu achten hatte und als Subdirigent
            dem "maestro di capella" offensichtlich
            untergeordnet war. Gerade bei
            vielchörigen Werken ist eine Aufführung ohne
            Subdirigenten nicht machbar gewesen. Paul Winter (s.43f)
            zitiert Ludovico Viadana, nach dem der Hauptdirigent beim
            besten Chor stand, von allen gut zu sehen war und sein
            Metrum von einem bei jedem weiteren Chor stehenden
            Subdirigenten abgenommen wurde. Mit dieser Praxis war es
            möglich, auch groß besetzte mehrchörige
            Werke aufzuführen. Falsch ist es dagegen,
            sich bei größerer Entfernung zwischen die
            Chöre zu stellen und von dort aus zu dirigieren,
            denn dies wird von keinem Chor genau zu sehen sein. Aus
            eigener Erfahrung mit mehrchörigen Werken Gabrielis
            kann ich die Praxis Viadanas nur bestätigen: stand
            ich mehr als zehn Meter von einem Chor entfernt, waren
            gegebene Einsätze nicht für alle Musiker
            endeutig als Einsätze zu erkennen und wurden des
            öfteren mit den Metrumsschlägen verwechselt
            ("Der Einsatz kam nicht"). Stand ich direkt bei einem
            Chor und hatte zwanzig Meter weiter einen Subdirigenten,
            war es leichter, die Chöre zusammenzubringen, als
            wenn ich nach vorne, hinten und zur Seite gleichzeitig
            dirigieren mußte und die Unterschiede der
            Bewegungen zwischen Metrum und Einsätzen nicht mehr
            von allen wahrgenommen werden konnten. Beispiele für
            Taktablösungen, Tempo- und Metrumsprobleme werden
            nicht in diesem Kapitel diskutiert , sondern als
            Fallbeispiel beim jeweils besprochenen Werk. zurück
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