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 Spätrenaissance - Praktische Notenausgaben zur Mehrchörigleit


Spätrenaissance

Venezianische Musik

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Biographie G, Gabrielis

Kompositionslehre Gabrielis
1. Hintergründe
2. Theorie
3. Aufführungspraxis
3.1. Raumhall und Modulationsgeschwindigkeit
3.2.Aufstellung und Aufteilung der Chöre
3.3. Stimmbesetzung, Einzelchöre und Verstärkungschöre
3.4. Takt, Dirigat und Koordination der Chöre
3.5. Realisation der Werke - Kommentar zu Notenausgaben.

4. Beispiele
5. Zusammenfassung
6. Literatur

3.5. Realisation der Werke -
Noten und Notenausgaben
aus: Kompositionstechnik und Aufführungspraxis mehrchöriger Werke der venetianischen Spätrenaissance - dargestellt am Beispiel Giovanni Gabrielis in San Marco/Venedig. Überarbeitete Staatsarbeit von Martin Schlu, Bonn 1984 / 17.7. 2008

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 Überblick - Quellen - Beispiele - Seitenanfang 
Überblick
(S.67) Das Musizieren vielchöriger und vielstimmiger Werke hat einige praktische Probleme. Die Frage Einzelstimme oder Spielpartitur stellt sich den Laien und Amateuren eher als den Profis, die natürlich mit einer Einzelstimme zurechtkommen. Nun wird heutzutage der größte Teil mehrchöriger Musik von Sängern und Bläserchören aufgeführt und dort sind Spiel- und Vollpartituren eher Standard. Für Posaunenchorbläser ist es naturgemäß leichter aus den Partituren zu spielen, aber dafür haben sie immer einen Haufen Papier auf dem Pult und wenn sie eine Einzelstimme haben, ist es auch für geübte Spieler schwierig, den Anschluß wiederzufinden, wenn ein Spielfehler geschehen ist. Profis verwirrt dagegen eher die Spielpartitur und sie verlassen sich lieber auf eine Einzelstimme und den Dirigenten. Im Folgenden soll auf die Quellenlage und auf aktuelle praktische Ausgaben eingegangen werden.
 
 
Quellen - Seitenanfang 
Bis ca. 1590 war es sowieso üblich, Kompositionen in sogenannten "Stimmbüchern" zu veröffentlichen und für jede Stimme stand ein eigenes Notenbuch zur Verfügung (wie es im Orchesterbereich bis heute Standard ist). Weil die Werke damals im Rahmen einer größeren Sammlung veröffentlicht wurden, konnte aus den Stimmbüchern ohne weiteres ein dicker Foliant werden. Um 1590 wurde es üblich, mit den Stimmbüchern auch eine Partitur zu drucken, was die Probenarbeit erheblich erleichterte. Die "Sacrae Symphoniae" von 1597 sind gleichzeitig als Partitur und Einzelstimmendruck erschienen. Es existiert eine Partiturabschrift von G. Flurschütz, die nach Angaben Stefan Kunzes (S. 235) in der Augsburger Staats- und Stadtbibliothek zu finden ist. Leider war es mir nicht möglich, Einblick zu nehmen, so daß ich über die Authentizität der Benvenuti-Ausgabe (IM, BD. II) nichts sagen kann.
 
Desweiteren existieren noch einzelne Stimmbücher der "Sacrae Symphoniae" von 1597, allerdings war 1985 für mich nicht zu ermitteln, um welche Stimmbücher es sich handelt und wo sie aufbewahrt wurden (was heute, 2008, sicher kein Problem mehr ist). Definitiv zur Verfügung standen mir die Neuausgaben von Denis Arnold (CMM 12. Band 1 - 6) und besagte Benvenuti-Ausgabe "Istituzioni e Monumenti" von 1932, von denen noch ein Exemplar in der Universität Heidelberg vorhanden war. Diese Ausgaben sind naturgemäß als Partiturdruck aufgelegt, enthalten jedoch keine Hinweise über Transpositionsanweisungen (vgl. Kap. 2.3., S. 34f), keine Hinweise auf noch erhaltene Einzelstimmen und lediglich Stefan Kunze gibt (a.a.O.) den Hinweis, daß zu der Partitur auch noch eine Orgelstimme existiert - was immerhin besagt, daß auch eine Orgel eingesetzt wurde. (S. 68) Die "Sacrae Symphoniae" von 1615 enthalten durchgehend den Vermerk "Basso per l'Organo", so daß man die Orgelstimme wohl als gesichert annehmen kann.
 
(S. 68) Zu den italienischen Archiven und Bibliotheken, in denen sicher noch viele Hinweise zu finden sind, hatte ich 1985 als Nicht-Doktorand leider keinen Zugang. Damals war Italien noch nicht an den internationalen Leihverkehr angeschlossen und die Mikrofilme über die in Venedig lagernde Sammlung Alessandro Rauerijs von 1608 mochte die Bayrische Staatsbibliothek München damals nicht verleihen (wg. Nicht-Doktorand) - insofern mußte sich die gesamte Arbeit auf auf Sekundärliteratur und sekundäre Primärliteratur gründen (CMM, IM, Zitate).
 
Immerhin gibt es einige Hinweise auf Noten und Notierungen zu Gabrielis Zeiten: Paul Winter erwähnt den Gebrauch von Chorpartituren für die Sänger (S. 56), schweigt sich allerdings über die Instrumentalisten aus, Gotthold Frotscher rät von Chorpartituren ab und Denis Arnold bemekt im Vorwort der Gesamtausgabe:
 
"...when it is possible to use instruments, it will be necessary to write out parts"...
 
Nun ist es ja nicht so, daß sich Instrumentalisten nicht auch verspielen können, so daß gerade bei den etwas komplizierteren Instrumentalkanzonen wie der "Canzon 7° Toni Nr. 1" oder der "Canzon 1° Toni á 8" eine Spielpartitur nötig wäre um die Chorablösungen (Instrumentalchöre) und die relativ dichte Kontrapunktik auch innerhalb eines Chores meistern zu können. Außerdem bleibt immer noch das Faktum, daß eine klare Trennung zwischen Instrumentalchor und Vokalchor in den meisten Fällen eben nicht gegeben ist. 1985 nahm ich an, daß es Halbpartituren gegeben haben müsse - heute (2008) denke ich, daß die Stimmbücher irgendwelche handgeschriebenen Stichnoten enthalten müßten, an denen sich die Musiker Schlüsselstellen markiert haben - wie ich es als Orchesterbläser auch mache, wenn ich nicht -zig Takte durchzählen will. Heute erscheint es mir logischer als Instrumentalist aus Einzelstimmen zu spielen, vor allen Dingen, wenn ein Dirigent dabei ist.
 
 
(S. 69) Wünschenswert für künftige Notenausgaben wären folgende Angaben:
 
Quellenangabe: (Neuausgabe, Mikrofilm, Stimmbuch, wo aufbewahrt?)
Angabe der originalen Schlüsselung, Hinweise auf Transpositionen, Vergleich zur absoluten Tonhöhe
Angabe des originalen Metrums, Klärung der Taktfrage, Hinweis auf Proportinsvorschläge
Ausgabe in mehreren Partituren mit Einzelstimmen und Halbpartituren
Besetzungsvorschläge und Alternativangaben
 
 
Beispiele - Kommentar - - Posaunenwerk - Seitenanfang  
Interessant ist die Analyse bestehender Ausgaben für den praktischen Gebrauch. Analysiert wurden Ausgaben der Edition Robert King (Music for Brass), Musica Rara, London und Ausgaben aus dem Posaunenwerk der Ev. Kirche Deutschland. Als Beispiel dient die "Canzon 1° toni á 8", aus den "Sacrae Symphoniae" (1597)
 
Die Ausgabe Robert Kings von 1960 (Music For Brass No. 91) ist rein spielpraktisch für Blechbläserensemble eingerichtet und enthält die Partitur mit den transponierten Stimmen, Einzelstimmen mit Subtituten für Horn und Bariton. Es fehlen allerdings Angaben über die originale Schlüsselung und die Originaltonart und die Canzone wurde um einen ganzen Ton nach unten transponiert (vermutlich, damit sie in den dritten Stimmen nicht zu hoch kommt). Die originalen Stimmenbezeichnungen fehlen auch, dafür gibt es eine leidlich brauchbare Tempoempfehlung (Moderato, 72 Viertel). Der Alla Breve-Takt wurde in einen Viervierteltakt verändert, was zur Folge hat, daß die Melodielinien weniger fließen, weil die Bögen regelrecht zerhackt werden. Trotzdem kann man mit dem Notenmaterial gut aufführen, weil es in sich stimmig ist und für die heutigen Blechblasinstrumenten gut liegt. Hörbeispiel als MIDI-File - Mehr
 
- Ähnliches Beispiel
 
weitere Beispiele (Canzon 7° Toni Nr. 2) IM - Robert King - Posaunenwerk - Beispiele
 
(Seite 70 - Schlüsselung der Canzon 7° Toni Nr. 2 nach der IM S. 30ff
 

(Seite 72) Kommentar zu den Notenausgaben
Die Übertragung Benvenutis erscheint in Vierteln innerhalb eines 4/2 Taktes. Die ersten drei Takte konnte ich mit dem Programm "Encore" nicht in den originalen Schlüssel darstellen, mit "Sibelius" nicht im originalen Takt und "Finale" habe ich leider nicht (und will es nun auch nicht mehr...)
Ausgabe für Blechbläser - Ausgabe für Posaunenchor - Beispiele
 
Vorausgesetzt, die Benvenuti-Ausgabe (IM) ist eine korrekte Übertragung im Sinne, daß das Verhältnis Mensurstrich zum Notenwert nur gekürzt wurde, ergeben sich für die anderen Editionen folgende Abweichungen:
 
Besprechung: Robert King
(vgl. S. 97) Nennung der Schlüsselung, dafür Quellenverweis auf die Benvenuti-Ausgabe mit dem Vorwort von Gaetano Cesari - allerdings fehlt der Hinweis, ob sich die Ausgabe auf Benvenuti bezieht. Vorgeschrieben ist ein Tempo von 104 Schlägen, die Ausgabe ist eine große Terz abwärts transponiert und mit Besetzungsangaben und dynamischen Zeichen versehen. Gemessen an der Benvenuti-Ausgabe wurden Takt und Metrum nochmals gekürzt, so daß als Metrum nun Viertel gelten und das Tempo erheblich schneller erscheint. Angesichts der geforderten Besetzung wäre eine Ausgabe in Bb-Dur besser gewesen. Die Stimmen CA75 sind als Bb-Stimmen für Trompeten transponierend notiert. Die Ausgabe erscheint als Dirigierpartitur (mit transponierter Eintragung) und Einzelstimmen mit Substituten - sonst ist es das Gleiche wie die oben besprochene Ausgabe der "Primi Toni" - mit so einer Ausgabe kann man arbeiten.
 
 
 
 
 
(Seite 71) Ausgabe des Posaunenwerks der EKiR
(Quelle: Spielet dem Herrn, Notengabe 1972, S. 26f)
Ausgabe für Blechbläser - Original - Beispiele
 
 
 
Besprechung:
Es erfolgt keine Nennung der originalen Schlüsselung, des originalen Titels und der Quellenlage. Die Tempovorstellung "ruhige Halbe" ist mehr ein Hinweis für den Leiter und ein Appell an seine künstlerische Kompetenz. Der Taktwechsel in T8 wird als "schneller" Dreier definiert - ob "tripla" oder "sesquialtera" muß jeder Chorleiter selbst entscheiden. Fraglich ist, ob dies die meisten Chorleiter können, darum wäre hier ein Hinweis besser gewesen.
 
Trotz Spielpartitur ist die Ausgabe gut zu spielen, weil an den Wendestellen in der Blattaufteilung Pausen gesetzt sind und man darum nicht im Lauf blättern muß. Außerdem muß man einfach wissen, daß Posaunenchöre immer aus einer Spielpartitur in C spielen und darauf geeicht sind, sich die Stimmen herauszusuchen. Für die Organisten ist es dann kein Problem einen Chor zu übernehmen und damit sind sie auch nicht so weit weg vom Original, wie es auf den ersten Blick scheint. Die Transposition erscheint den Bläsern hier als bequemes Bb-Dur, was für Laienbläser sowieso die "Haustonart" ist. Wie das Stück wirklich heißt, daß es ein "siebter Ton" und damit eine mixolydische Tonart ist, versteht sowieso kaum ein Laie und dies braucht man als normaler Bläser auch nicht zu wissen - es reicht, wenn es der Chorleiter mal ins Programmheft schreibt und bei Bedarf erklärt. Trotzdem funktioniert die Ausgabe in der Praxis, auch wenn man Laienbläsern erklären muß, daß sie bitte erst mal im "mezzoforte" anfangen sollen - lauter wird es sowieso (nach über vierzig Jahren Posauenchor kennt man seine Pappenheimer... MS, 2011)
 
 
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