www.martinschlu.de


Kulturgeschichte - Spätrenaissance


Spätrenaissance

Venezianische Musik

Anfangsseite

Biographie G, Gabrielis

Kompositionslehre Gabrielis
1. Hintergründe
2. Theorie
3. Aufführungspraxis
4. Beispiele
5. Zusammenfassung
6. Literatur

5. Zusammenfassung
Kompositionstechnik und Aufführungspraxis
aus: Kompositionstechnik und Aufführungspraxis mehrchöriger Werke der venetianischen Spätrenaissance - dargestellt am Beispiel Giovanni Gabrielis in San Marco/Venedig. Überarbeitete Staatsarbeit von Martin Schlu, Bonn 1984 / 18.7. 2008

zurück - weiter Seite 158 - 159 - 160 - 161 - 162 - 163 - 164 - 165
 
Andrea Gabrieli - Giovanni Gabrieli - Gabrielis Stil - Hauptfrage - Fazit Kompositionstechnik - Fazit Aufführungspraxis
Andrea Gabrieli
(S.158) Wie aus der Tabelle der Schülerverbindungen hervorgeht, gibt es im Venedig des 16. Jh. zwei Hauptströmungen: Auf der einen Seite die Lehre Adrian Willaerts, die von seinem Schüler Zarlino als verbindliche Harmonielehre niedergeschrieben wird, auf der anderen Seite versucht Andrea Gabrieli, die Grenzen eben dieser Harmonielehre zu erweitern. Kommt bei Willaert die "cori spezzati-Technik" nicht über einfache Elemente hinaus, weil die Einzelstimmen mehrheitlich kontrapunktisch geführt werden, sind bei Andrea Gabrieli die Ansätze einer orchestralen Technik erkennbar: Die Einzelstimme gibt einen Teil ihrer Selbständigkeit auf und wird Teil eines erweiterten Gesamtklangs.
 
An Andrea Gabrieli lassen sich ab 1557 evtl. schon Gründe für eine Veränderung der Kompositionstechnik feststellen:
 
- trotz wirtschaftlichen Niedergangs muß Venedig weiter repräsentieren, um zu zeigen, daß es die alte Größe (und damit das Vertrauen von Handel und Finanzwelt) noch besitzt. Dies läßt sich am besten bei Festhochämter zeigen, wie an Weihnachten,der Osterwoche, Himmelfahrt, dem Tag des Heiligen Markus und dem Tag der Vermählung des Dogen mit dem Meer, denn an diesen Tagen versammelt sich die hohe Diplomatie und die Finanzführung zum Repräsentationsgottesdienst in San Marco und da muß die Kirchenmusik zeigen, was gut und teuer ist, um klarzumachen, daß es weitergeht wie bisher;
 
- Zarlino gilt zwar als brillianter Theoretiker, doch die hauptsächliche Arbeit der Auftragskomposition wird offenbar von Andrea Gabrieli erledigt, weil Claudio Merulo primär als Orgelvirtuose bezahlt wird und Zarlino seit 1565 an praktischen Aufgaben nur die Chorleitung übernehmen muß - eine ungleiche Arbeitsverteilung.
 
Andrea Gabrieli kann als Hauptkomponist also regelrecht experimentieren und dies scheint er auch getan zu haben. Erst ab seinen Werken gibt es die Überschreitungen des Ambitus (Tonumfang), die den Einsatz von Instrumenten nicht nur "ad libitum" verlangen, sondern für Vokalisten einfach unsingbar sind. (S.159) Es finden sich zwar schon früher (Willaert) eine tonhöhengemäße Unterteilung der Chöre, neu bei Andrea Gabrieli ist jedoch der überwiegende Verzicht auf zwei gleiche Chorgruppen und damit schreibt er eine ständige Erweiterung der Chordisposition fest.
 
Diese Technik kann damit begründet sein, daß ein Schlußtutti eines "coro superior" und eines "coro grave" klanglich erheblich mehr hergibt als das Schlußtutti zweier Chöre gleicher Tonlage. Diese Klangeigenschaft wird durch die Akustik einer fünfschiffigen Kreuzkuppelbasilika mit ca. elf Sekunden Nachhallzeit noch verstärkt und dieser Effekt muß auf auswärtige Besucher und Geldgeber eine überwältigende Wirkung gehabt haben - vor allem mit der Kombination mit einer erhöhter Lautstärke durch eine größere Zahl an Blechbläsern. Daß die Gründung des Kirchenorchesters von San Marco in die Zeit der 1550er Jahre fällt und im Verlauf der Jahrzehnte als ständige Einrichtung gehalten wurde, mag als Beleg dafür gelten.
 
Giovanni Gabrieli - Seitenanfang
Während Giovanni Gabrieli bei seinem Onkel die ersten musikalischen Gehversuche macht und sich als Organist ausbilden läßt, hat sich die Aufführungspraxis bereits etabliert, den Stimmumfang der Chorgruppen durch geschickte Aufteilung zu erweitern, klangliche Schwächen mit Instrumenten zu retuschieren und den Raum als verstärkenden Klangkörper miteinzubeziehen. Giovanni wird mit der Technik der räumlichen Chorpraxis also schon sehr früh vertraut. Parallel zu seiner Lehrzeit (zunächst bei seinem Onkel, dann bei dessen Freund Orlando di Lasso) macht er seine ersten Kompositionsversuche und arbeitet sich durch die Technik des Instrumentierens und Besetzens durch. Als er 1579 wieder nach Venedig zurückkehrt, ist ihm die niederländische Polyphonie so vertraut wie Andrea Gabrieli und Lasso selbst, und er kennt die Art des venezianischen Orchesters genauso wie die zeitgenössische Musik der Münchner Hofkapelle.
 
Mit diesem Wissen - unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse an San Marco - muß Giovanni Gabrieli jedoch noch fünf Jahre warten, ehe er die Stelle des zweiten Organisten bekommt. In der Zwischenzeit (1583) veröffentlicht er sein Madrigalbuch "De floridi virtuoas d' Italia il primo libro de madrigali a quinque voci" und übt sich noch in Kontrapunktik.
 
(S.160) Als Giovanni Gabrieli den Posten des zweiten Organisten endlich antritt, kann er - ganz in der Schule Andreas' und Lassos - die gemachten Erfahrungen praktisch anwenden. Es kommt zu den Kompositionen, die in den "Concerti" von 1587, ein Jahr nach dem Tod Andreas', veröffentlicht sind. Dies sind noch vorwiegend kontrapunktisch komponierte Stücke, die für ein kleineres Chorensemble konzipiert sind, so etwa "Inclina Domine" á 6, "Ego Dixi Domine" á 7, aber auch schon doppelchörige Motetten im Stil des Onkels wie "O Magnum Mysterium" oder "Deus, Deus Meus". Diese Motetten weisen zwar schon die Stimmexpansion zwischen Diskant und Baß auf, wie sie Giovanni bereits bei seinem Onkel Andrea gesehen hat, stehen aber noch in der alten Kompositionstechnik Andreas' und Lassos. Dennoch sind sie so ausgereift, daß sich zwei von ihnen ("Ego Dixi Domine" und "Deus, Deus Meus") in der posthumen Veröffentlichung 1615 wiederfinden - offenbar sind diese Motetten sehr populär geworden.
 
 
Gabrielis Stil - Seitenanfang
Das, was Gabrielis Stil ausmacht, also Echoeffekte, gegenseitige Durchdringung der Chöre, Kombination der Chorstimmen mit Instrumenten und räumliches Klangvolumen, ist also bereits allgemein übliche Aufführungs- und Kompositionspraxis, als Giovanni seine Stelle antritt. Daher ist es so schwierig zu unterscheiden, was den Gabrieli-Stil kompositions- oder aufführungstechnisch geprägt hat. Sicher ist, daß Andrea Gabrieli stilistisch der Vorreiter war, sicher ist ebenfalls, daß der Chor, die "capella" an San Marco um 1590 die große Zeit hinter sich hat und nur noch aus einem guten Dutzend Sängern besteht. Giovanni Gabrieli ist also gezwungen aus diesem Häuflein Sänger die Solisten und den Hauptchor zu besetzen und dies bedeutet, daß eine Besetzungsexpansion nur in instrumentaler Richtung geschehen kann, wenn man von den Klerikern absieht, die - analog zu den heutigen Laienchören - vielleicht weitere drei oder vier Stimmen recht und schlecht abdecken können, denn daß die Stimmpartien eher nichts für Amateure sind - auch heute noch nicht - zeigt ein Blick in irgendeine Partitur.
 
(S.161) Eine Übersicht der Stimmenanzahl seiner Werke deer "Concerti" und den "Sacrae Symphoniae" von 1597 und 1615 zeigt eine gewisse Vorliebe für die Acht-, Zehn- und Zwölfstimmgekeit, also für zwei und drei Chöre
 

á 6

á 7

á 8

á 10

á11

á12

á13

á14

á15

á15

á17

á19

7 vokal

8 vokal

28 vokal

6 instr.

11 vokal

6 instr.

1 vokal

15 vokal

3 instr.

1 vokal

4 vokal

2 vokal

1 instr.

3 vokal

1 vokal

1 vokal

 
 Untersucht man die Schlüsselung im Vergleich, so findet sich bei den acht- , zehn- und zwölfstimmigen Chören folgende Disposition:
 
"coro superior" + "coro grave"
zwei gleiche Chöre
O quam suavi á 8
Deus, deus meus
Angelus ad Pastores
O Domine Jesu Christe
Domine Exaudi
Jubilate Deo
Misericordias Domini
Beata immaculata
Laudate nomen Dominum
Beati omnes
Domine, Dominus noster
Angelus Domini
O Jese mi dulcissime (1597)
Sancta et immaculata
Diligam te Domine
Exultate justi in Domine
Hoc Tegitur
Magnificat á 8
O quam suavi á 8
Benedicam Dominum
Domine Exaudi
Maria Virgo
Surrexit Pastor
Judica me Domine
Quis es iste qui
Hodie Christus natus est
Canzon 12° Toni á 10 Nr. 3
Litanieae B. Mariae Virg.
Vox Domini
Suscipe
 
Jam non dicam
Ego sum qui cum
Canzon 1° Toni á 8
Canzon 7° Toni á 8 Nr. 1
Canzon 7° Toni á 8 Nr. 2
Canzon 9° Toni á 8 Nr. 1
Canzon 12° Toni á 8
Deus, qui beatum á 10
Canzon 12° Toni á 10 Nr. 4
(wie Canzon in Echo 12° Toni)
Regina caeli á 12
Sonata 8° Toni á 12
O Jesu mi, dulcissime
Hodie completi sunt
Cantate Domino
(S. 162) Dreißig Motetten mit ungleichen Chören stehen also sieben Motetten mit gleichen Chören gegenüber, ein Verhältnis, das den Schluß nahelegt, ein "core grave" als Instrumentalchor sei offenbar leichter zu besetzen gewesen als zwei gleiche Chöre. Denis Arnold gibt für das Jahr 1590 zwei Diskantisten und einen Contraalto an, die dem Chor an San Marco angehörten. Gleichzeitig bemerkt er aber, daß drei weitere Altisten noch anderweitig beschäftigt waren und von den Diskantisten nur einer gut bei Stimme war - ein trostloses Bild (in: Gabrieli, S. 33).
 
Dies könnte ein Beleg für die häufige Miteinbeziehung des "core grave" sein, denn wenn dieser an akustisch günstiger Stelle plaziert war, konnte man mit enem guten Diskantisten auskommen - ein akustisch-praktischer Trick, den Gabrieli mit Sicherheit kannte. Ein weiterer Beleg für diese Theorie kann die Schlüsselung der Sacrae Symphoniae von 1615 sein: Dort finden sich erheblich mehr Werke für zwei gleiche Chöre als 1597 - offenbar hatte sich die Situation des Chores wieder verbessert.
 
 
Hauptfragen Seitenanfang 
Damit ist man beim eigentlichen Problem angelangt: Schreibt Gabrieli vorzugsweise mehrchörige Werke mit "core grave" , weil es zu der Zeit keine Diskantisten gibt, oder gibt es keine Diskantisten, weil es zu wenig Stellen gibt, (wann werden schon mal gleiche Chöre gebraucht?) Nützt Gabrieli die finanzielle Sicherheit, notfalls Diskantisten von irgendwoher einzukaufen (was die Kirchenmusiker ja heute genauso handhaben) oder schreibt er für das aktuelle Kirchenorchester und den aktuellen Chor (wie es Schulmusiker ja auch immer tun)? Schreibt Gabrieli das, was er will oder das, was er soll? Schreibt er in einem vergleichsweise konservativen Stil, weil er das bei dem alternden Lasso und seinem Onkel mal so gelernt hat oder schreibt er diese "klangvollen Langeweiler" (wie ich sie mal bezeichnen möchte) zu vier Chören, weil das die Fugger, der Doge und die Serenissima von ihm verlangen, es gerne hören und dabei an die ehemalige Größe Venedigs erinnert werden? Als moderner Vergleich sei der Pomp und die Sentimentalität genannt, mit der viele Heiligabendgottesdienste, Christmetten und Festhochämter bis zum Erbrechen gespickt sind und die Kirchen deswegen ein- bis zweimal im Jahr knüppelvoll sind, weil es so ist "wie früher"...
 
Kurz: Schreibt Gabrieli nach der Praxis oder richtet sich die Praxis nach Gabrieli?
 
(S.163) Die Stilwende um 1600 findet bei ihm jedenfalls nicht statt. Zwar beherrscht Gabrieli die alte Technik von Madrigal und Motette, er kennt sich in der Affektenchromatik aus ("Miserere mei", S. 78), er beherrscht sowohl kanonische und kontrapunktische Stimmführung ("Canzon 7° Toni", S. 97f) , als auch die Blocktechnik im doppelchörigen Satz. Er weiß, welche Werke in San Marco aufgeführt werden können, was die Akustik zuläßt, er hat Mittel gefunden, mit dem Nachhall zu spielen ("Canzon 4° Toni", S. 123 und "Deus, Deus meus, S. 95), er weiß um die rhythmischen Besonderheiten der wechselnden Porportionen ("Misericordias Domini", S. 131) und er schafft es, alte und neue Elemente miteinander zu verbinden, wie es in diesem Stück geschieht.
 
Dennoch liegen Welten zwischen dem, was Monteverdi zur gleichen Zeit schreibt, was Carlo Gesualdo im Todesjahr Gabrielis veröffentlicht (1613, 6. Madrigalbuch) und dem Stück, das ganz unauffällig als Nr. 21 in die Canzoni e Sonate" gerutscht ist. In diesem Sammelwerk wurden Gabrielis noch nicht veröffentlichte Instrumentalwerke posthum (1615) gedruckt und dort findet sich sein einziges überliefertes monodisches Stück: eine Sonate für drei Violinen und Generalbaß.
 
Daß Gabrieli anders schreiben konnte, als es der "Gabrieli-Stil" verlangt, hat er mehrfach unter Beweis gestellt, u.a. im "Kyrie" von 1615. Daß er es in der Mehrzahl seiner Werke nicht getan hat, ist eine andere Sache. Stand er unter dem Zwang, so schreiben zu müssen (s.o), lag ihm die Technik seines Onkels näher oder gibt es andere Gründe? Daß er es fachlich konnte, steht außer Frage.
 
Solange es keine Hinweise gibt, wie sie z.B. von Bach bekannt sind, (Beschwedeberiefe, Notizen, Anmerkungen, Aufführungshinweise etc.), ist man auf Vermutungen angewiesen. Über Aufführungspraxis und deren Einfluß auf die Kompositionstechnik zu schreiben, ist äußerst riskant, wenn die Quellenlage so dünn ist wie bei Gabrieli. Es gibt zwar den Theoretiker Michael Praetorius, der weit entfernt in Deutschland sein theoretisches Werk "Syntagma Musicum" abschließt - nur hat dieser Giovanni Gabrieli leider nicht gekannt und war mit den Verhältnissen in Venedig und an San Marco nicht vertraut. Gerade in den Jahren 1584 bis 1613, in denen Gabrieli dort arbeitete, herrschte eine völlig andere Situation, als sie Praetorius später in seinen "Termini musici" beschreibt. Als dieser Band erscheint, haben sich Chor und Orchester an San Marco längst wieder erholt und die Besetzung ist regelmäßig groß genug, ohne daß befürchtet werden muß, ob der Diskantist bei Stimme ist und singen kann.
 
 
Erklärung der Kompositionstechnik - heutige Aufführungspraxis - Seitenanfang 
(S.164)  Die Kompositionstechnik Giovanni Gabrielis wurde durch aufführungspraktische Gegebenheiten beeinflußt. Zusammenfassend seien sie noch einmal genannt:
 
Nachhallzeit in San Marco
Die Nachhallzeit von ca. elf Sekunden macht die Auswahl bzw. die Komposition eines Stückes von der Überlegung abhängig, welche Tonhöhen länger und welche Tonhöhen weniger lange nachklingen (Phänomen der Eigenresonanz), Nach dem Gesetz der "harmonischen Modulationsgeschwindigkeit" sind bei längeren Nachhallzeiten nur Werke mit geringer harmonischer Bewegung möglich. Gabrieli entdeckt eine Möglichkeit, dieses Gesetz zu umgehen und durch eine geeignete Chordisposition auszugleichen.
 
Postierungsmöglichkeiten für Musiker
Viele Postierungsmöglichkeiten für Sänger und Instrumentalisten ermöglichen einerseits die Miteinbeziehung des Raumes bei mehrchörigen Werken, andereseits verlangen sie ein ausgeklügeltes Koordinations- und Instrumentierungssystem. Großbesetzungen sind nicht immer und überall möglich, weil die Besetzung eines Chores davon abhängt, wo er postiert werden soll. In San Marco gibt es nur zwei Emporen mit ausreichender Platzmöglichkeit für größere Ensembles.
 
Orgeln
Zwei Hauptorgeln und mehrere kleine tragbare Orgeln ermöglichen das Zusammenwirken von Solisten ohne Melodieinstrumente. Dies ist jedoch stark an die Tonart gebunden, weil durch die damals vorherrschende Stimmung Transpositionen um mehr als ein Vorzeichen nicht möglich sind (die temperierte Stimmung gibt es noch nicht).
 
Chor und Orchester
Bei einem Zusammenwirken von Chor und Orchester (Posaunen und Streichern) ist es zwar möglich, die Tonhöhe frei zu bestimmen, die sich aus der Schlüsselung ergibt. Dies funktioniert aber nur, wenn mindestens drei Bläser oder Streicher pro Chor zur Verfügung stehen, damit der harmonische Satz vollständig wird.
 
 Kompositionsauftrag
Gabrieli wird dafür bezahlt "Gebrauchsmusik" für San Marco zu schreiben und unterliegt deshalb auch außermuskalischen Zwängen, die nicht genau erklärbar und beweisbar sind (Denkbar wäre z.B. eine Anweisung wie: "Schreib doch mal was für zehn Posaunen, der Doge steht auf diese Instrumente...").
 

 

 
Heutige Aufführungspraxis -Kompositionstechnik - Seitenanfang 
(S.165) Eindeutig zu erklären sind die Zusammenhänge zwischen der Kompositionstechnik Gabrielis und einer gegenwärtigen Aufführungspraxis. Es lassen sich für eine heutige Realisation dieser Werke folgende Aussagen treffen:
 
Besetzung
Bei kleiner chorischer Besetzung ist zu engmensurierten Posaunen zu raten, um die Sänger stimmlich nicht zu überfordern. Stehen nur Normalinstrumente zur Verfügung oder hat man nur Amateurposaunisten, die kein pianissimo spielen können, muß der Chor entsprechend verstärkt werden.
 
Laienchorarbeit
Einige Werke Gabrielis sind aufgrund der relativ einfachen Struktur auch für die Aufführung durch Laienchöre geeignet. Es ergibt sich an vielen Kirchen nicht nur die Möglichkeit, den Nachhall auszunutzen, sondern auch die, Chorgruppen mit Posaunenchören und Kinderchören zu besetzen und einzustudieren. Hier öffnet sich den Kantoren ein weites Feld.
 
Vokalausführung
Von einer reinen Vokalausführung, etwa im Sinne des katholischen Cäcilianismus, ist aus zwei Gründen eher abzuraten: Einerseits wird der stimmliche Ambitus gerade des Basses oft überschritten und andererseits werden häufig die - eher seltenen - Männerstimmen gefordert. Eine instrumentale Mitwirkung verhindert dagegen das Absinken der Intonation, erleichtert die Aufführung und stopft mögliche stimmliche Lücken.
 
Aufstellung der Chöre
Wird durch die örtliche Gegebenheit die Aufstellung und räumliche Trennung der Chöre auch über eine größere Entfernung möglich, wird es nötig sein, den Dirigenten bei dem besten Chor zu postieren und für jeden weiteren Chor einen Subdirigenten einzusetzen, gerade dann, wenn die Laufzeitunterschiede innerhalb des Raumes mehr als eine Sekunde betragen (etwa eine neugotische Kirche mit ca. 500 Plätzen).
 
Allgemeines
Grundsätzlich empfiehlt es sich, zu versuchen, alle Komponenten der Komposition in die Musik umzusetzen und sich nicht darauf zu beschränken, lediglich die räumlichen Kontraste herauszuarbeiten. Besonderes Augenmerk ist auf die Feinheiten der Affektenlage zu richten, außerdem auf versteckte Rhythmen, Tempo -und Dynamikfeinheiten.
 
Ob es weitere gegenseitige Beeinflussungen zwischen der Kompositionstechnik und der Aufführungspraxis mehrchöriger Musik gegeben hat, müßte zu einem späteren Zeitpunkt eventuell im Rahmen einer größeren Arbeit (z. B. einer Dissertation) nachgewiesen werden und ist zur Zeit (1985) für mich nicht feststellbar. Denkbar ist es auf jeden Fall.
 
 
Martin Schlu 1985/2008
 
 
 
zurück - weiter - nach oben