Reiseberichte - Italien - Venedig


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Venedig für Anfänger
Venedig im Sommer
Venedig im Winter

 

Venedig im Sommer (2013)
Text und Fotos: © Martin Schlu, August 2013, letzte Revision: 10. Oktober 2022

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Skylineausschnitt etwa ab Höhe Giardini: Links die Salute, in der Mitte die Einfahrt zum Canal Grande, rechts Palazzo Ducale, der Campanile und die Kuppelspitzen von San Marco.

Vorabend
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Die Flugdauer nach Venedig beträgt von 
Köln/Bonn eine gute Stunde. Die Maschine geht abends um sieben, so daß wir bei Sonnenuntergang über den Alpen sind und der Rest Sommerschnee erzeugt mit dem roten Licht der Sonne tolle Muster, dazu geht der Vollmond auf (wir sitzen links) - eines der Bilder, die man nur genießen, aber nicht fotografieren kann. Jetzt weiß ich endlich, was Michael Ende im „Jim Knopf“ mit dem ‘rot-weiß-gestreiften Gebirge' gemeint hat. Im Anflug auf Venedig zeigt sich die Signorina mit allen Lichtern, der Hafen ist gut beleuchtet und als wir gelandet sind und unser Gepäck haben, ist es halbwegs dunkel und noch nicht neun Uhr.

Der Taxifahrer braucht nur fünzehn Minuten bis zum Piezzale Roma (Festpreis € 40.-), denn weil Hochsaison ist, möchte er viele Fahrten machen und so brettert er wie ein Weltmeister - die Polizei ist weit. Vom Piezzale Roma kommen uns Scharen beleuchtetet Menschen entgegen, die Weiblichkeit meist weiß gekleidet und mit leuchtendem Busen. Der Grund dafür ist die Ausleuchtung durch die Smartphones, denn - anders als beim letzten Besuch vor zwei Jahren sind die Datenpreise bei diesen Dingern drastisch gefallen und so laufen alle mit gebeugtem Kopf und ausgeleuchtetem Oberkörper durch die Gassen und versuchen die Adressen oder Restaurants zu finden. Das ist immer noch nicht so leicht, weil die Häuser mit den Stadtteilnamen durchnumeriert sind und wenn wir nicht wüßten, wo unsere Wohnung ist (Dorsoduro 2925), würden wir sie mit der Software nicht finden, weil die Ortung in den engen Gäßchen von Venedigs nur zu 50% funktioiniert.

Zehn Minuten laufen wir bis zur Wohnung, ab dem Campo Santa Margherita durch Massen von feiernden Jugendlichen und Studenten, denn es ist Sommer und es sind Semesterferien. Mimi von Oikos Venice hatte ich schon vom Taxi angerufen, sie ist schon da, gibt uns die Schlüssel und als wir unser Gepäck abgestellt haben, ziehen wir los auf der Suche nach Eßbarem. Beim Dönerladen im Univiertel (Dorsodeuro 3490/B) gibt es gut verträgliche Kebap, zwei Flaschen Wein und Wasser als Grundausstattung. Da sitzt auch die Polizei: zwei carabinieri essen Pizza.


Campo Santa Margerita gegen 21:00 Uhr: hier steppt der Bär.

Als wir wenig später vor und auf dem Balkon sitzen - er ist ca. einen Quadratmeter groß - ist es zehn und wir sind auch geistig im Urlaub angekommen. Obwohl auf dem Campo die Hölle los ist, ist es auf der Rückseite des Hauses still - es gibt einen Durchgang (sotoportego) und das Hinterhaus ist etliche Meter vom Lärm entfernt. Nur ab und zu kommt ein Boot vorbei, sonst ist es sehr still. Es hat immer geheißen, daß die Kanäle im Sommer stinken - ich kann es nicht bestätigen.

Die stille Rückeite des Hauses, der „Rio di S. Margherita“
Morgen werden wir uns treiben lassen und dann wissen, was wir eine Woche lang tun wollen.
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Donnerstag

Allgemeines
Der Supermarkt am Campo (Punto) macht erst um halb neun auf, so daß ich ein paar Minuten warten muß und Zeit habe zu beobachten, wie die Möwen einen Müllsack schlachten. Unter lautem Geschrei haben vier Möwen in guter Katzengröße jeder einen Zipfel des Sacks, ziehen daran, bis er reißt und machen sich über den Inhalt her. Nun kommen die fliegenden Kollegen und nehmen mit, was irgendewie eßbar ist und fünf Minuten später ist eine große Sauerei entstanden (am Nachmittag war alles piccobello, ob durch die Möwen oder die Stadtreinigung, bleibt offen).

Der Punto ist nach dem Umbau größer und besser sortiert, allerdings auch teurer. Für ein vernünftiges Frühstück reicht es aber allemal und danach ist klar, daß wir erstmal den Canal Grande abfahren (Linie 1), denn es ist Biennale, die traditionelle künstlerische Weltausstellung und weil für knapp 190 ausstellende Nationen der Platz knapp ist, gab es in der Vergangenheit immer Exponate um den canal und anderswo. Wenn man sowieso viel Linie 1 fahren will, kann man nach wie vor am Piezzale Roma die Einkäufe aufs Boot tragen, doch wenn man sich besser auskennt, besorgt man sich den Einkaufskarren, den alle Venezianer haben, parkt das Ding am Supermarkteingang (den klaut keiner) und fährt damit seine Einkäufe nach Hause. Die beste Einkaufsmöglichkeit ist nach wie vor der Billa an der Zattere - alles andere ist teurer. Daß der Billa manchmal mit der Warenbeschaffung kaum nachkommt , weil viele Skipper so praktisch an der Zaterre anlegen können, steht auf einem anderen Blatt.
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Verkehr
Man geht in Venedig zu Fuß (mit vernünftigen Schuhen, denn das Pflaster ist chronisch uneben) oder nimmt das Boot. An der Accademia und am Piezzale Roma bekommt man die Karten für den vaporetto (Wasserbus) der ACTV. Das Wochenticket liegt nun bei € 50.- (2017: € 60.-) und die Zugänge zu den Stegen sind teilweise mit Mechanismen versehen wie in der tube in London, Karte dranhalten, dann geht die Tür auf. Die Linien haben sich etwas verändert, aus der 41 ist die 4.1 geworden, aus der 51 und 52 ebenso die 5.1 und 5.2 und die Strukturen erscheinen auf den Fahrplänen nun klarer. Es ist ganz einfach: je kleiner die Liniennummer, desto eher ein Bummelboot (ein „Milchkannenexpreß“, der wirklich überall hält) und da braucht man bei der Linie Eins für die Strecke vom Piezzale Roma bis zum Lido halt eine Stunde. Wenn man kein Venedig-Anfänger mehr ist, findet man den Weg durch die Gassen schneller, als man mit der Linie 1 je wäre.

Es ist Hochsaison und daher sind alle Wasserbusse knallvoll. Sie fahren auch etwas langsamer, lassen sich mehr Zeit und hupen sogar (sehr laut), denn Mitte August gab es an der Rialtobrücke beim Anlegemanöver der Linie 1 einen Unfall, als der vaporetto beim Anlegen eine gondola erwischte, die umkippte und ein über Bord gegangener Mann zwischen Anlegesteg und Schiff erdrückt wurde. Alle Verantwortlichen haben einen Riesenschreck bekommen, und die Skipper passen nun wirklich sehr gut auf, aber ob das tägliche Chaos mal von der Polizei kontrolliert werden wird, steht in den Sternen - es ist überhaupt ein Wunder, daß bis zu diesem Unfall nie etwas Ernstes passiert ist.


Ganz normaler Irrsinn zwischen San Marco und der Rialtobrücke: zwei gondole wollen raus, der eine vaporetto legt gerade an, der andere (mit mir drauf) wartet, daß der erste fertig wird, dazwischen Transportboot (trasporti), Wassertaxis und ab und zu noch ein Kajak mittendrin. -  
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Es ist etwa dreimal soviel Verkehr wie auf dem Rhein, aber der Canal Grande ist maximal zweihundert Meter breit. Da ist das Risiko vorprogrammiert und manche Freizeitskipper fahren hier auch wie James Bond (die Folge mit Gerd Fröbe als amerikanischem Touristen). Auf einem Abschnitt von ca. 300 Metern sind üblicherweise zwei vaporetti, zehn trasporti und drei bis vier gondole, außerdem noch Wassertaxis und heute durfte ich einen Einsatz der Ambulanz erleben, die dann mit Vollgas und Musik den Canal entlangbretterte. Das Foto zeigt also eine für Rialto ganz alltägliche Situation.

Die vaporetti sind sehr voll. Die Hochsaison ist zwar gerade vorbei, aber wenn man Sightseeing mit der Linie 1 haben will, muß man zur Zeit mindestens eine halbe Stunde stehen, bis einer der begehrten Sitzplätze vorn oder hinten frei wird. Alle schwitzen und stinken vor sich hin, quengelnde Kleinkinder erhöhen den Lärmpegel zusätzlich - für eine beschauliche Kanalfahrt ist der Winter definitiv besser. Eine Touristengruppe hat sich als Gondolieri verkleidet und macht in dieser Kluft die Stadt unsicher, angetrieben von der energischen Reiseleiterin:


Biennale 1. Versuch - 2. Versuch - 3. Versuch
Bereits an der Haltestelle San Marco bekommt man einen Vorgeschmack auf die Biennale. Man kann an dieser Stelle hervorragend auf die Insel San Giorgio mit der gleichnamigen Kirche sehen und dieser Kirche sitzt eine ebenso hohes Superweib aus Stoff. Nur der Kirchtum ist noch ein bißchen höher. Allerdings ist San Giorgio auch einer der Orte, an denen man Kunstwerke überhaupt sehen kann, ohne Eintritt zu bezahlen. Ein anderer Kunstort ist unmittelbar an der Accademia-Brücke beim Ca' Franchetto (ein überdimensionaler, schwarzer Kopf) und dann gibt es noch ein drittes auf der anderen Canal-Seite, das aussieht wie ein pinkes Baugerüst. Im Laufe der nächsten Tage wird man sehen, daß man überall in der Stadt Kunst umsonst sehen kann, aber man muß aufmerksam hinschauen. weiter  - noch weiter Seitenanfang

Jüdisches Viertel
Bei der Biennale (Haltestelle „giardini“) gibt es am Eintrittsschalter bereits lange Schlangen und da es schon elf ist, beschließen wir, lieber am nächsten Morgen um zehn da zu sein, damit wir uns nicht im Touristenhoch gegen eins um die Kunstwerke schlagen müssen. Nachdem wir wissen, wie groß die Biennale ist, laufen wir durch Cannaregio in Richtung jüdisches Viertel (ghetto vecchio), das es seit ca. 500 Jahren gibt. Dort ist Informationszentrale für die jüdische Gemeinschaft (cannaregio 1222), es gibt koschere Restaurants, Spezialgeschäfte für das jüdische Leben und natürlich ist es auch ein jüdisches Wohnviertel. Vier carabinieri stehen Wache, falls etwas passieren sollte, aber außer den Bewohnern verirren sich vergleichsweise wenig Touristen hierhin - die Tagestouristen schaffen sowieso nur Rialto, San Marco und die obligatorische Gondelfahrt. Speisekarten sind auf italienisch, englisch und hebräisch. Wer unter Laktoseintoleranz leidet, sollte überlegen, ob koscheres Essen nicht die Lösung ist, denn wenn man sich ein Fleischgericht bestellt, darf logischerweise keine Milch (Laktose) enthalten sein - auch nicht in den Gewürzen, wo es sonst immer drin ist.


Das Ghetto lebt, die Häuser sind alt, aber die jüdische Gemeinde scheint hier sehr lebendig zu sein:

In Cannaregio sitzen wir am Mittag im Schatten und machen Pause bei aqua minerale frizzante und einem Milchkaffee. (cannaregio 3272). „Wasser“ ist in Italien immer normales Leitungswasser, will man aber Mineralwasser mit Kohlensäure haben, muß man sich ein „frizzante“ bestellen. Es ist still, es ist ruhig, ab und zu sieht man eine Venezianerin, die einen Kinderwagen über die Bücke wuchtet und manchmal kommen Touristen vorbei. Nebenan sitzen alte Männer, trinken Espresso und reden vermutlich über Politik - einer von ihnen haut bei energischen Redebeiträgen (die für mich absolut unverständlich sind) immer mit der Zeitung auf den Tisch. Zwischendurch hält ein Sanitätsboot in zweiter Reihe, zwei Mediziner klettern heraus und kommen nach ein paar Minuten mit einer alten Dame auf einem Rollstuhl wieder. Der Rolli wird mit der Omi über das erste Boot in das Ambulanzboot verfrachtet und dann fahren sie los. Seitenanfang
Den Abend beschließen wir in der Pizzeria „Oke“ an der Zattere (Dorsoduro 14/4), die eine preiswerte Speisekarte hat und zu der wir seit Jahren hingehen. Da wir gegen sieben ankommen, ist noch reichlich Platz. Eine Stunde später ist es auch hier knallvoll, viele Menschen müssen warten und der Sonnenuntergang taucht den Hafen und die Zattere in ein wunderschönes Licht. Selbst die Möwen hören einen Augenblick auf zu kreischen und gierig auf die Teller zu starren.


Sonnenuntergang an der Zattere, im Hintergrund der Industriehafen.

Den Abend verbringen wir vor und auf dem Balkon (wegen des einen Quadratmeters Größe). Wenn es dunkel ist, geht das pralle Leben erst richtig los: Fernsehton in italienisch, spanisch und französisch, Töpfeklappern, zerbrechendes Geschirr, Gerufe und Geschimpfe, Schreie der Lust und lustiges Geschrei bei großen ragazzi und kleinen bambini und immer weder Boote, die vorbeikommen. Mittlerweile hören wir den Unterschied zwischen Wassertaxi und Privatboot. Seitenanfang

Freitag 
Biennale 2. Versuch 3. Versuch
Wir wollten ja heute auf die Biennale, doch auch beim zweiten Versuch klappt es nicht. Auf dem Weg zur Linie eins sind wir rein automatisch zur Accademia gelaufen und da haben wir uns wieder zu lange aufgehalten. Vor drei Jahren haben wir in Sizilien das erste Mal die Sitte kennengelernt, daß Liebespaare ein Schloß kaufen, ihren Namen draufschreiben, das Ding irgendwo anketten und den Schlüssel ins Meer schmeißen. Dann schwappte dieser Trend an die Kölner Hohenzollernbrücke und zwar so stark, daß die Statik gefährdet wäre, wenn nicht einmal im Monat Mitarbeiter mit Bolzenschneider ein paar Tonnen entsorgen (und sie nicht in den Rhein schmeißen). Nun sind Sizilien und Köln auch hier angekommen und die fliegenden Händler verkaufen nicht mehr nur falsche Prada- und Guccitaschen und Berge von Zeug, was kein Mensch braucht, sondern sie haben jetzt auch Schlösser im Angebot und das Brückengeländer sieht entsprechend aus und man kann es zum Festhalten nicht mehr benutzen. Ich fürchte, daß die Reinigungskräfte bald auch den Bolzenschneider brauchen und warte nur darauf, daß sich bei Niedrigwasser ein vaporetto auf dem Schlüsselberg festfährt, denn Strömung, die alles verteilen würde, gibt es hier nicht. Ausbaggern wäre ja noch eine Alternative...


Die Brücke hält das Gewicht schon, solange man die Öffnungen nicht mit Sicherheitsgitter verkleidet. Dann würde es sehr schwer. Seitenanfang

Die fliegenden Händler sind auch nicht mehr rudelweise am Ende der accademia, sondern verteilen sich bis nach San Marco. Dreist sind natürlich jene, die direkt vor den Prada und Gucci-Läden ihre gefälschten Taschen andrehen, aber auch sie finden Käufer. Der Dom San Marco wird von außen renoviert und ist teilweise unter Gerüsten verborgen. Wer also das obligatorische San Marco-Bild machen  will, hat dieses Jahr schlechte Karten und müßte eins aus den Vorjahren nehmen, z. B. dieses Bild..
Verglichen mit Karneval ist es um San Marco nun erheblich voller - es hat auch damit zu tun, daß alleine heute drei große Kreuzfahrtschiffe vor Ort sind und „groß“ bedeutet hier etwa die Höhe des Campanile von San Giorgio, also Schiffe mit fünfzehn Decks, 60 Meter Höhe und jeweils ca. 4.000 Passagieren, die dann zwischen elf und siebzehn Uhr die Altstadt fluten. Längst gibt es eine Initiative gegen diese Riesen, aber solange die Kreuzfahrtgesellschaften der Stadt Millionen an Hafengebühren in die Kassen spülen (aber nicht in die venezianische, sondern in eine Kasse nach Istanbul, weil der Hafen dorthin verkauft wurde), nimmt man lieber Beschädigungen durch Wellenschlag in Kauf und daß man die Schiffe mittlerweile riechen kann (das Schweröl für die Maschinen ist Grund für eine unglaubliche Luftverschmutzung) war früher auch nicht so. Hinzu kommen noch zahllose Hotelschiffe für die Biennale-Gäste, große und kleine Privatyachten - auch der Hafen ist knallvoll.


Dorsoduro am Giudecca-Kanal - hier sieht man, wie groß diese Schiffe wirklich sind, wie sie stinken, sieht man auch. Seitenanfang

Lido
Weil der Vormittag nun schon halb herum ist und wir nichts besseres vorhaben, machen wir uns auf den Weg zum Lido. Der Lido war in den 1950er Jahren das Badeparadies. Reiche Italiener - nicht nur aus Venedig - hatten da eine Zweitwohnung um einen gewissen Status zu dokumentieren, die gepachteten Badeplätze kosteten Unsummen und wurden gewöhnlich auf die Nachkommen übertragen. Heute ist der Ruf des Lido besser als die Realität, denn wer Dänemarks oder Hollands Küsten kennt, wo man wirklich auch mal einen größeren Strandabschnitt für sich alleine haben kann, wird mit dem italienischen System seine Probleme bekommen. Die Parzellen sind streng abgesteckt, alles kostet extra und wehe, man bringt seine eigenen Sonnenschirm mit und macht das Geschäft der Schirm- und Liegenverleiher kaputt. Abgesehen davon ist man ab San Marco eine halbe Stunde mit dem Boot unterwegs und läuft dann noch mal eine halbe Stunde zum Strand. Das wäre etwa so, als würde man von Bonn aus nach Köln schwimmen gehen. Der Kenner fährt zun Badeurlaub dann lieber an die französische Atlantikküste (wenn man richtig schwimmen will) oder nach Nordjütland (wenn man keine Strandnachbarn haben möchte).


Der Lido ist sehr deutsch geworden: alles hat seine Ordnung und jedes Detail kostet extra. Nur das Badewasser gibt es umsonst. Seitenanfang


Biennale für umsonst
Übrigens braucht man für das Zwei-Tage-Ticket der Biennale den Ausweis und da wir die Persos aus guten Grund nicht mitnehmen, war es wieder nichts mit dem Besuch  (meiner Frau ist ihr Portemonnaie an der accademia einmal geklaut worden und sie hätte um ein Haar nicht zurückfliegen können - Danke noch einmal an die deutsche Botschaft). Morgen werden wir bestimmt um zehn Uhr an der Kasse sein und die Ausweise dabei haben. Es gibt aber noch eine Möglichkeit, ein bißchen Biennale zu gucken und zwar auf San Giorgio. Dort ist das pinke Riesenweib aus Stoff zwar Blickfänger, aber längst nicht einziges Ausstellungsstück. Der Künstler Marc Quinn hatte die elf Meter große Stoffstatue „Alison Lapper Pregnant“ bei den Parolympics in London ausgestellt (sie hat keine Arme) und hat auf dem Gelände des alten Klosters etliche Exponate stehen: überdimensionale Muscheln aus Messing, biologisch verfremdete Menschen wie den Mann mit Schwangerbauch und das Pärchen mit vertauschten Genitalien, aber im Klostergarten steht außerdem eine Sammlung aus marmornen Embryonen in verschiedenen Stadien - eine Fundgrube für den Bio-Kollegen und handwerklich einfach toll gearbeitet. Wer mit Biennale nur ein bißchen am Hut hat, sollte sich alleine deshalb schon auf den Weg nach San Giorgio machen. Man kann Marc Quinn nicht übersehen - doch seit dem Abend des 25. August ist das Podest leer und die Riesenfrau weg.

Alles da: das Riesenweib, der Name des Küstlers und die Haltestelle, bei der man aussteigen muß, wenn man Quinn gucken will. Seitenanfang

Natürlich gehen wir auch noch einmal in die Kirche und begucken das Chorgestühl und die Inneneinrichtung, nur die Bilder kann man nicht so gut erkennen. Wer ein bißchen über Venedigs Kirchen gelesen hat, weiß, daß in jeder Kirche mindestens ein Tintoretto oder ein Tiepolo hängt - so auch hier. Für mich sehen die aber alle gleich aus und ob das schwarze Flair, das fast 90% der Bilder haben, der Ruß von den Millionen Kerzen sind, die hier gebrannt haben, oder ob man einfach düster gemalt hat, soll man die Restauratoren fragen. Auf dem Weg nach Hause stolpern wir an der Zaterre über den kroatischen Beitrag in einer Kirche (Fondamenta delle Zattere ai Gesuati 919, Kata Mijatovic), der sich um Träume und Wünsche dreht. Interessanter ist aber der inoffizielle Beitrag von Zhong Biao's Visions, in dem östliche und westliche Moderne in Bildern, Fotos und Intallationen gegenübergestellt werden und der wirklich plakativ und systemkritisch wirkt.

Gegen sechs sitzen wir ganz billig auf einer Steinbank an der Zattere und warten, bis es kühler geworden sind. Schiff Nummer zwei und drei werden aus dem Hafen geschleppt und man hat auf einmal das Gefühl, daß es ruhiger wird. Es wird nicht lang vorhalten, denn die Dorfjugend fährt hier eben nicht mit dem Mofa die Straße rauf und runter, sondern mt Papas Boot durch die Kanäle - Hip-Hop vollaufgedreht inbegriffen. Nix ist mit „musiche veneziane“. Wer das nicht hören mag, muß Fernseh gucken. 

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Samstag
Biennale 3. Versuch und erster Tag
Diesmal hat es geklappt. Wir waren kurz vor zehn da, hatten die Ausweise dabei, bekamen die Karten und haben uns vorgenommen einen Überblick zumindest über die Exponate in den „giardini“ zu gewinnen. Wir haben nicht alles gesehen, haben uns den Luxus geleistet, in bestimmte Pavillion gar nicht hineinzugehen und waren trotzdem gegen eins mit dem größten Teil durch. Was bleibt hängen?


Der belgische Pavillon enttäuscht. Im abgedunkeltem Raum liegt ein Baumstamm, wie er schon mal im Rhein angetrieben wird, drapiert mit ein bißchen Müll. „Fott damit“ sagt der Rheinländer in uns und geht wieder hinaus. Interessanter ist da der nächste Pavillon: eine Landschaft mit ca. 200 Faller-Häuschen so wie bei meiner Eisenbahn früher (selbst mit deutscher Beschriftung wie „Hauptbahnhof“). Im Nebenraum sieht man Kopffragmente aus Holz in Baumscheiben eingepreßt und Objekte, die in eine Art Werkbank eingespannt sind, doch das ist auch nicht das Gelbe vom Ei. Das nächste Haus bietet merkwürdige Messingobjekte mit Riesenpenis und drei Beinen an, in einem Nebenraum sieht man ein Video, wie zwei Frauen zweistimmig sehr schön singen, obwohl sie recht unbequem in eine Art Kniebank eingepreßt sind. Schön sind nur die Figuren von Peter Fischli und David Weiss, obwohl ich sowas immer vom Kunstunterricht unserer Oberstufe sehe, aber die beiden machen es witzig und stellen Dinge dar, die man sonst nicht sieht. Das hat mir gut gefallen. - Übersicht

Der deutsche Beitrag im französische Pavillon hat mit Deutschland eigentlich nichts zu tun und ein deutscher Künstler ist nicht vertreten. Zentraler Künstler ist der Chinese Ai Weiwei, aber unter welchem Land er ausstellt, ist mir ziemlich wurscht - Hauptsache er ist dabei. Ai Weiwei zeigt seine 886 Dreibeinhocker ineinander verschränkt, gesteckt und geleimt, Hocker, die er gesammelt hat und die es heute so nicht mehr gibt, weil alle Chinesen auf Plastik umgestiegen sind. Man fragt sich unwillkürlich, welche arme Sau das Ding wieder demontieren muß, ohne daß es kaputt geht. Von Joseph Beuys ist man aus der Vergangenheit diesbezüglich ja einiges gewöhnt. Hoffentlich kriegt man nach der Biennale das Ding wieder zusammen. - Übersicht


Nicht alle der 866 Hocker sind zu sehen, ein paar paßten nicht mehr drauf: Foto: Martin Schlu © 2013 - Seitenanfang
Bilder aus Soweto (Santu Mofokeng) und eine Sequenz aus Indien (Dayanita Singh) erklären Arpartheid und Gewalt in Südafrika und Indien und eine Minderheitenverfolgung mit viel Betroffenheitspathos. Warum aber auf dem linken Großbildmonitor eine Wahlkampfrede der NPD und auf dem rechten Monitor eine Lesung mit salafistischen Moralvorstellungen stattfindet (Romuald Karmakar) und gegen Alkohol gewettert wird, habe auch ich nicht verstanden. Daß wir ein Einwanderungsland sind, ist ja klar, aber betrifft das auch die NPD? - Übersicht

Der englische Pavillon zeigt eine Fotostrecke des Jahres 1973, als David Bowie auf Tournee war, und eine Videosequenz des Adler- und Eulenflugs (Jeremy Deller). Japan zeigt Videosequenzen, wie fünf oder mehr Japaner zusammen etwas tun: Haare schneiden, Klavier spielen, ein Gedicht scheiben oder Kunst produzieren - jedenfalls tun sie es immer zusammen und man ist froh, daß man zuhause mal alleine etwas tun kann, weil hier einfach mehr Platz ist als in Japan (Koki Tanaka). - Übersicht
Im Finnland-Pavillion sieht man den Künstler Antti Laitinen erst Birken zersägen und sie dann mit Nägeln wieder zusammentackern. Vor dem Pavillon stehen diese neu zusammengesetzten Birken, aber um die Blätter dranzukleben, hat die Zeit wohl nicht mehr gereicht. Dafür sieht man in einer Installation den Künstler in Badehose, wie er Sandsäcke ins Meer schleift, sie aufeinender türmt und dann ganz zufrieden mit einer Topfbirke auf seiner künstlichen Insel sitzt. Macht irgendwie Spaß und paßt zum Sommer. In einer anderen Videosequenz sieht man ihn Tannennadeln sieben, Stein und Laub sortieren und die sortierten Materialien aus dem Wald findet man sortenrein in quadratischen Rahmen an die Wand gehängt. Außerdem hat Laitinen wohl etliche Wochen lang immer Eisblöcke aus dem zugefrorenen Weiher gesägt, gestapelt und zusammenfrieren lassen. Auf jeden Fall ist es klimaneutrale Kunst und sie fände bei den Grünen bestimmt Anklang. - Übersicht

Nicht so doll ist der ungarische Pavillon. Dort wird eine Sammlung von abgeschossenen und nicht explodierten Granaten gezeigt (Zsolt Asztalos), die „Shit Bar“ wirkt wie eine Halluzination von zuviel Dope, aber man kann dort wirklich etwas essen. Der amerikanische Pavillon zeigt einen unglaublichen Haufen Müll, sehr schön dekoriert und nett anzusehen, doch ich habe noch meine Mutter im Ohr, die mir bei so einem Haufen Zeugs nachdrücklich gesagt hätte, ich möge mein Zimmer aufräumen. Ganz nett ist auch der nordische Pavillon (Jesper Just /Dänemark), wo man nicht unterscheiden kann, ob die Bäume echt oder synthetisch sind, doch wofür das gut sein soll, wird nicht erklärt. - Übersicht

Das ist übrigens ein Hauptkritikpunkt: Ich finde, man sollte immer in der Landessprache, in Italienisch und in Englisch erklären, worum es hier geht. Lediglich im deutschen Pavillon funktioniert das ganz leidlich.

Im russischen Pavillon schreibt man die Geldwirtschft ganz groß (Vadim Zakharov). Beim Eintreten sieht man einen Manager im schwarzen Anzug auf einem Gebäudebalken in fünf Meter Höhe, der Erdnüsse ißt und die Schalen unter sich wirft, daß sie einen Berg bilden. Nebenan wird auch ein Berg gebildet, aber aus Geldstücken, die sporadisch aus der Decke purzeln und einen begehbaren Münzberg gebildet hat.

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Nur der Weiblichkeit ist es vergönnt, einen Schirm zu nehmen und sich mit Geld berieseln zu lassen - wie mir meine Frau versichert, hat es unter dem Schirm ordentlich geknallt, als sie ihre Gelddusche bekommen hat. Dagobert Duck läßt grüßen. Übrigens soll man eine Handvoll Geld (es ist Phantasiegeld)  mitnehmen, darf es aber nicht behalten, sondern soll es in einen Eimer kippen, damit der Geldkreislauf erhalten bleibt. Das ist wahre Kapitalismuskritik! - Übersicht



Im Pavillon der Schweiz zeigt der Künstler Valentin Carron achtzig Meter Flachstahl mit zwei Schlangenköpfen und geplätteten Blechblasinstrumenten, doch der Sinn hat sich mir hier auch nicht ganz erschlossen. Wir sind danach gegangen, weil wir in drei Stunden mehr gesehen haben, als wir verarbeiten konnten und nun brauchten wir erst einmal eine Kunstpause. Wie gut, daß wir eine Wohnung zum Ausspannen haben. - Übersicht


Kunst für umsonst
Am Nachmittag wollen wir keine Kunst mehr sehen - jedenfalls nicht mehr so viel. Die Salute ist fußläufig zu erreichen und diese Kirche war immer sehr schön still, halbwegs leer und man konnte dort gut einfach seinen Gedanken nachhängen. Also gehen wir los, nehmen aber nicht den direkten Weg. Schwups, stolpern wir wieder über Kunst, diesmal landen wir in einer Ausstellung im palazzo contarini (Dorsoduro 874 an der accademia). Die Ausstellungen kann man knicken, aber das Highlight ist der palazzo, denn normalerweise kommt man da gar nicht rein. Der palazzo contarini ist relativ gut erhalten, fast unverbaut und man sieht im Inneren solche Dinge wie (noch nichts restaurierte) bemalte Ledertapeten, die originalen Fußböden, man kommt in die Säle und in die Kammern und viele Räume haben noch originale Möbel und Bilder. Das ist das Wichtige! Die Installationen sind ein bißchen gewollt modern: eine Performance, wo eine Dame aus einem englischen Buch vorliest, eine Intallation aus Stapeln von bedrucktem Papier, Ventilatoren und dem Papiermüll auf dem Boden, durch den die Besucher laufen sollen und als es noch nicht chaotisch genug ist, hilft die Aufsicht nach und schmeißt ein bißchen Papier auf den Boden. Das Ganz hat den Charme einer Druckerei vor der Reinigung nach Feierabend.

Als wir endlich an der Salute ankommen, sind wir ein bißchen enttäuscht. Zwei Drittel der Kirche sind wegen Renovierung abgesperrt, das restliche Drittel darf man betreten, aber man darf sich nicht setzen, weil auch alle Bänke abgesperrt sind. Weil die Salute aber zum venezianischen Pflichtprogramm gehört, drängeln sich ein paar hundert Leute in der Kirche und wissen nicht, wo sie mal ein paar Minuten sitzen sollen. Selbst die Treppen davor sind belegt. da machen wir, daß wir wieder wegkommen. Die praktisch Veranlagten ziehen sich die Schuhe aus und plantschen im Wasser.

Im Übrigen ist der Nachmittag schon wieder rum, Zeit zum Nachausegehen und am Abend fegt auch noch ein Gewitter mit Platzregen über Venedig. Da sieht man die Mädels mit ihren durchsichtigen (weil jetzt nassen) Baumwollkleidchen schnell ins Trockene flüchten und teilweise regnet es wirklich in die Zimmer hinein. - Seitenanfang


Sonntag
Biennale 2. Tag 
Arsenale


Im Vordergrund die Haltestelle „Arsenale“, in der Bildmitte erkennt man die Hafenbecken und die Werkstatthallen mit dem alten Kran.
Das Arsenale ist die ehemalige Schiffswerft, in der die Venezianer in ihren besten Zeiten drei Galeeren pro Woche fertigstellten. Dementsprechend groß sind die Gebäude und als nach der letzten nautischen Großtat, der siegreichen Seeschlacht von Lepanto gegen die Türken (7. Oktober 1571), der Bedarf an Galeeren nicht mehr so groß war, wurden die Hallen anderen Zwecken zugeführt. Seit etwa hundert Jahren sind sie Ausstellungsgelände für die Biennale und dafür sind sie ganz hervorragend geegnet, denn dreihundert laufende Meter Lagerhallen mit elichen Nebengebäuden kann man für Ausstellungen wirklich gut nutzen. Nebenbei ist das Arsenale heute Reparaturwerft, Sitz der Handelsmarine und noch ein paar anderen Organisationen, die wenigstens ein bißchen Bezug zur vergangenen Seemacht Venedig haben. Also gut:

Zentraler Aufhänger der Arsenale-Ausstellungen ist der Turm „Il Palazzo Enciclopedia“, der auch irgendwie das Motto der Biennale ist. Diese „Palazzo Enciclopedia“ wurde in den 1950er Jahren geplant, sollte etwa 700 Meter hochwerden, wurde aber natürlich nie gebaut. Er sollte - und da sind wir wieder ziemlich modern - eine Art analoges Wikipedia sein, also das damalige Weltwissen sammeln. Das kennt man von der Bibliothek Alexandria (abgebrannt), von dieversen mittelalterlichen Klosterbibliotheken (fast alle abgebrannt) oder aus der Situation, daß man etwas googlen will und kein Netz hat (dann ist man auch irgendwie abgebrannt). Jedenfalls kann man das Modell des Wissenschaftsturms im Eingangsbereich des Arsenale sehen und alleine dieses Modell ist gut fünf Meter hoch. - Übersicht



Nach diesem Ding kommen ein paar Köpfe, furchtbar viele Zeichnungen, bei denen nur die Arbeiten von Patrick Van Caeckenbergh in der Erinnerung hängenblieben: Bilder, bei denen man erst denkt, daß man sie auch knipsen kann (Winterbäume im Gegenlicht usw.), bis man merkt, daß sie nicht fotografiert, sondern gemalt sind. Diese Art Fotorealismus beeindruckt dann doch, weil da ein hohes technisches Können hintersteckt. In der Erinnernung bleibt auch Jakub Julian Ziótkowski, der in seinen Bilder einen Stil zwischen Hieronymus Bosch und Otto Dix schafft - Apokalypse modernisiert, sozusagen. Ganz andere Wege geht der Fotograf Eugen von Bruenchenhein (1910-1983), der von 1949-1961 Frauen so fotographierte, wie man das später bei Bert Sterns Monroe-Fotos kennengelernt hat: alles angedeutet, nichts gezeigt und trotzdem für die prüden 50er Jahre außergewöhnlich - aber da muß man sich in die Denkweise dieser Zeit hineinversetzen können. Was ich ziemlich daneben fand, war Robert Crumbs Comic-Bibel (2009). Ich kenne Crumb seit den 1970er Jahren („Fritz, The Cat“), weiß daß er ein begnadetet Karikaturist ist, aber man kann einfach nicht gefühlte 110 Meter Einzelblätter an die Wand hängen - da wäre ein Video gnädiger gewesen. - Übersicht

Schnell weitergegangen bin ich bei bemalten Transparenten mit Unmengen von Texten in allen möglichen Schriftgrößen. Ich finde es so furchtbar, daß man bei moderner Kunst erst ellenlange Texte lesen muß um zu verstehen, was die Kümstler meinen - gute Bilder oder Skulpturen sprechen im Idealfall für sich. Eine dieser guten Ideen stammt von dem Polen Pawel Althamer: er nimmt einen Rundstahl als Skelett umwickelt ihn mit grauen Plastikstreifen und schafft es damit Personen darzustellen. Da er das mit vielen Objekten gemacht hat, entstand eine größere Figurengruppe aller möglichen Personen, die er "Venetiens 2013" genannt hat. Das fand ich überzeugend, eine Art modernisierte "Bürger von Calais" (Rodin, 19. Jh.) - Übersicht


Die "Venetiens - insgesamt gut vierzig Figuren in allen Größen und sozialen Schichten-

Sehr gut war auch der Beitrag des Libanon (
Akram Zaatari), ein Videobeitrag mit Installation („Letter To A Refusing Pilot“). Dieser Film in der Länge einer guten halben Stunde beschreibt die Kindheit und Schulzeit des Protagonisten, insbesondere die Schule, in die der Held geht und mit der er sehr verbunden ist. In der Auseinandersetzung von 1982 beschließt der nunmehr zum Kampfpilot ausgebildete Protagonist, den Auftrag zur Bombardierung einer Schule nicht auszuführen und läßt die Bomben im Meer detonieren. Sehr gut, sehr berührend und sehr aktuell. - Übersicht

Der Beitrag von Chile (Alfredo Jaar) zeigt ein Modell der Biennale-Pavillons in den giardini, das von den steigenden Flut buchstäblich überspült wird, so daß nur noch eine glatte Fläche zu sehen ist. Damit wird die Gefahr des venezianischen Untergangs durch den gestiegenen Meeresspiegel auf einmal sehr faßbar, auch wenn es pro Jahr eher Bruchteile von Millimetern sind und nicht - wie hier - zwanzig bis dreißig Meter im Vergleich. - Übersicht

Der Beitrag der Vereinigten Arabische Emirate (Mohammed Kazem) beschreibt in einer 360° Projektion den nächtlichen Aufethalt auf dem Meer. Dies tut er so gut, daß man sogar seekrank werden könnte, denn die projezierten Wellen und GPS-Daten sind immer in Bewegung und nach einiger Zeit stellt sich ein Körpergefühl ein, daß man unwillkürlich versucht, wie auf dem Schiff auszugleichen. Daß das Ergebnis nur recht aufwendig zu erzeugen ist, ist egal - die Wirkung ist jedenfalls sehr gut und unterstreicht die Tradition der arabischen Seefahrer.
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Die indonesischen Künstler (Albert Yonathan Setyawan, Eko Nugroho, Entang Wiharso, Rahayu Supanggah, Sri Astari, Titarubi) haben moderne und traditionelle Kunstformen kombiniert. Traditionelle Stabpuppen sind auf einer Bühne installiert, vor denen ein Meer von Tongefäßen steht, dahinter sind Schülerpulte mit aufgeschlagenen Büchern installiert, die sich nicht aufblättern können und als Kontrast dazu wurde eine lebengroße Figurengruppe aus Bronze um einen Tisch gruppiert, deren Präsidentin offenbar gerade jemand zum Tode verurteilt. Alle Figuren tragen die Kopfbedeckungen, die man von Präsident Suharto kennt. Ich habe es nicht ganz verstanden. - Übersicht

Im Hinausgehen nehmen wir noch Südafrika war, hier zeigen mehrere Künstler lediglich gefühlte fünfhundert Portraits von irgendwelchen Menschen (Contemporary South African Art and the Archive), der Italienische Pavillon zeigt umgedrehte Tische und Podest mit Menschen, die sich mal hinter der italienischen Flagge verstecken und mal nicht und was das sollte, hat mit mir wohl auch kaum jemand verstanden. - Übersicht

Ganz furchtbar ist China. Mehrere Künstler zeichnen für ein schlimmes Video verantwortlich, das ein bißchen so aussieht, als hätten Kulturrevolutionäre in den
frühen Siebziger Jahren ein Computerspiel programmiert. Zu martialischer Musik werden Bilder des Eiffelturms, des Big-Ben, des Brandenburger Tors gezeigt, die auf dem Video zerbrechen. Langnasige Europäer bauen Türme, an denen zu noch schlimmerer Musik furchtbar schlecht animierte Skelette hochkrabbeln und sie irgendwie zum Einsturz bringen. Fleißige chinesische Werktätige mit Schaufeln und Hämmern bauen unermüdlich auf und weil mir von Pathos immer ganz schlecht wird, habe ich den Schluß des Films nicht mitbekommen, weil ich dringend rausmußte. Es hätte mich aber nicht gewundert, wenn die Arbeitenden am Filmende noch die Mao-Bibel geschwenkt hätten. Auf dem Freigelände ging es weiter: zwei leere Fässer mit der Auschrift „Sea“ waren dafür gedacht, daß die Besucher ihre Trinkflaschen mit Meerwasser füllten und daließen. Da an dem Tag auch Tausende Besucher da waren, hatte sich ein Tisch von etwa zwanzig Meter Länge mit Flaschen gefüllt. Da habe ich mir gedacht, wenn Italien - wie bei uns - das Flaschenpfand eingeführt hätte, wäre der Rückgabewert vermutlich höher als der Wert des Kunstwerkes. Die 1000 Kunststoffziegel mit der Übersetzung von chinesischen Redewendungen ins Englische waren dagegen noch richtig große Kunst.

Island
Danach haben wir erst einmal genug gesehen, sind durch die Haupthallen und Außenbezirke durch und brauchen ein bißchen Pause. Auf dem Arsenalgelände kann man lange und weit laufen, es gibt auch genug Sitzgelegenheiten und nach einiger Zeit sind wir auf den überdachten Anlegestegen, wo die Schiffe auch bei schlechtem Wetter fertig gemacht werden können. Dort liegt ein Schiff, in einer Form, die ich in Reykjavik schon einmal gesehen habe. Auf einmal kommen sechs Blechbläser, steigen ein, ein Seemann übernimmt das Steuer und dann fährt das Schiff mit den spielenden Musikern einige Platzrunden. Diese Idee und die toll gespielte Musik (ich nehme an, daß es Profis waren) ist das Beste der Arsenale-Ausstellung gewesen.


Tolle Musik in schöner Atmosphäre - für Kenner: Sextett mit zwei Trompeten, zwei Hörnern, Posaune und Tuba. Gespielt wurde hochromantisch.
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Montag
San Polo
Wir laufen diesmal von Dorsoduro nach Rialto, weil wir noch ein Mitbringesel auftreiben müssen. Unterwegs kommen wir an der Universität (Universitá Ca' Foscari Venezia) vorbei, eigentlich am Hauptgebäude, denn Dorsoduro ist auch Studentenviertel und dort sind ganz viele Abteilungen untergebracht. Am Hauptgebäude krabbelt ein bunter Kunstwurm über die Mauer und als wir genau hinsehen, entpuppt sich der Wurm als Vielzahl roter Plastiknetze, in denen jeweils Hunderte von Plastikdeckeln von diversen Plastikflaschen stecken. Organisiert ist dieser Wurm als Kunstaktion „The Garvage Patch State“ (Maria Cristina Finucci) und die Künstlerin protestiert damit gegen Müllinseln im Meer, die jetzt schon insgesamt 16 Mio qkm bedecken. Cartoons zeigen Urlauber an Müllstränden und diese Aktion geht über einfache Betrachtungskunst einfach heraus.


Der Wurm besteht aus Zigtausenden Plastikdecken in Netzen verpackt
Nebenan kann man ein Baggerboot bei der Arbeit beobachten - es ist wie mit Umzügen: man braucht für alles ein Boot - hier eben für einen Hausabriß. An der Kirche “Scuola grande di san Rocco“ werden die roten Teppiche verlegt und die Baldachins aufgebaut, denn in zwei Tage beginnen die Filmfestspiele. Als wir an der Kirche „Santa Maria  Gloriosa del frari“ vorbeikommen, entschließen wir uns  kurz hineinzugehen und Claudio Monteverdi die Reverenz zu erweisen. Sein Grab liegt in der linken Seitenkapelle und  mittlerweile gibt es auch wieder Konzerte mit seiner Musik. Das war lange Zeit anders. Die Kirche hat übrigens einen sehr schönen Kreuzgang, aber  es ist hier wie mit fast allen der ursprünglich ca. tausend venezianischen Kirchen - das Geld ist knapp und der Verfall deutlich.  Wir lassen die Kirche hinter uns und gehen über den  Markt (rialto mercatore), wo man als Tourist zwar auch einkaufen kann, aber es ist eigentlich der Hauptmarkt Venedigs. Dahinter  liegt der Fischmarkt, aber ab elf Uhr braucht man im Sommer da nicht mehr hinzukommen, weil der Fisch weggepackt werden muß. Im Winter geht es bis ca. 15:00 Uhr, aber im Sommer ist Mittags Schluß. 

An der Rialtobrücke liegt auch der Campo San Bartolomeo mit dem Goldoni-Denkmal. Dort gibt es immer noch den Disney-Shop für hoffnungsvolle Kinder und genervte Eltern, aber es gibt auch eine gute Trattoria. Vor dem Goldoni-Denkmal muß man rechts abbiegen, dann läuft man darauf zu (Trattoria „Aquila  Negra“, San Polo 5424A). Die Preise sind immer noch günstig und es ist nicht so voll, weil die Touristen die Trattoria normalerweise nicht finden. Als das Mitbringsel organisiert ist, hat sich der Himmel geklärt und wir beschließen nach San Giorgio zu gehen. Die meisten Touristen fahren ja auf den Campanile di San Marco, aber der von San Giorgio ist genauso hoch, liegt schöner und kostet nur die Hälfte (€ 6.- pP). Oben angekommen zeigt sich Venedig von seiner schönsten Seite:


Der Stadtteil Castelo - im Hintergrund die Glasbläserinsel Murano.
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Das Wetter hält sich nach wie vor, obwohl das Handy kommenden Regen anzeigt, und so beschließen wir auf die Toteninsel San Michéle zu fahren und die Gräber von Diaghilew und Strawinsky zu besuchen. Man muß ein bißchen umsteigen bis man die 4.2. in der richtigen Richtung erwischt und sie fährt am Krankenhaus (ospedale) vorbei, biegt dann in den Nordkanal ein und man tuckert allmählich in die Richtung. Auf halber Wegesstrecke kommt man immer an zwei Engeln vorbei, von denen man sich einen als Tod vorstellen kann, denn er weist unmißverständlich auf die Insel und scheint zu sagen „memento mori“ (für Nicht-Lateiner: „Denk an Deine Sterblichkeit!“).  Außer uns wollen nicht viele dort aussteigen, die meisten bleiben sitzen, weil sie weiter nach Murano wollen.

Diaghilew und Strawinsky sind Insidern als Protagonisten des „Ballet russes“ in Erinnerung, die vor hundert Jahren mit dem Ballett „Les sacres du printemps“ einen wahnsinnigen Theaterskandal entfachten und der eine schrieb die Tanzschritte, der andere die Musik. Diaghilew (der Choreograph) bekommt bis heute Blumen und Ballettschuhe auf sein Grab gelegt, dieses Mal liegt ein Ballettschuh mit russischer Schrift da:


Die Übersetzung lautet: „Von den Schülern und Schülerinnen des Lyzeums namens S. P. Djagilew der Stadt Jekaterinenburg (Russland) 10.August 2013“ (mit herzlichem Dank an Gerburg Pientka für die Übersetzung)
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Als um halb sechs ein Sirenenton ertönt, daß der Friedhof gleich geschlossen wird (Totenruhe ade), laufen wir zum Bootsanleger und beschließen nach Murano zu fahren. Die Tagestouristen sind sowieso weg und durch die Gassen zu laufen, ohne sich totzutrampeln, hat auch etwas.
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