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Kulturgeschichte - Barock - J. S. Bach:  Die Matthäuspassion 1724


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Johann Sebastian Bach 1685 - 1750
Die Matthäusspassion 1727 - Picanders Vorlage

erstellt von © Martin Schlu - Stand: September 2002 (letzte Revision am 31.12.2013)

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Allgemeines
Picanders Vorlage und Bachs Umsetzung
Dramaturgie der Anlage
Eingangschor "Kommt ihr Töchter...
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Literatur zur Matthäuspassion
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Picanders Dichtung existiert in zwei Quellen: einmal in der Gedichtsammlung (Quelle Q) und der Beilage zur Quelle C, der Textabschrift Altnickols nach unbekannter Vorlage (1). Der Abdruck der Quelle Q findet sich in der Textsammlung Neumann 1 (2) und umfaßt dort folgende Texte:

Vor der Predigt
Eingangschor mit Choraltext NBA 1
'Du lieber Heiland" 5
"Buß und Reu" 6
"Blute nur" 8
"Wiewohl mein Herz" 12
"Ich will dir mein Herze 13
"O Schmerz" + Choral 19 "Ich will bei meinem Jesu 20 mit Choreinschüben
"Der Heiland fällt" 22
"Gerne will ich mich bequemen
"So ist mein Jesus nun gefangen" + Choreinschub
"Sind Blitze.." 23 27a 27b

Nach der Predigt
"Ach nun ist mein Jesus hin" 30 + Choreinschub
"Mein Jesus schweigt" 34
"Geduld" 35
"Erbarme dich" 39
"Gebt mir meinen Jesum wieder 42
"Er hat uns allen wohl getan" 48
"Aus Liebe will mein Heiland" 49
"Erbarme es Gott" 51
"Können Tränen meiner Wangen" 52
"Ja freilich will in uns" 56
"Komm süßes Kreuz" 57
"Ach Golgatha" 59
"Sehet Jesus hat die Hand" 60 + Choreinschub
"Am Abend, da es kühle war" 64
"Mache dich mein Herze rein" 65
"Nun ist der Herr zur Ruh 67 + Choreinschub (Gläubig)
"Wir setzen uns mit Tränen 68

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In der Picander'schen Textfassung fällt auf, daß zwischen "Zion" und den "Gläubigen" unterschieden wird, ib. dort, wo ein Dialog stattfindet. Dies sind die Nummern 1, 19, 20, 27a, 30, 60 und 67. Diese Unterscheidung findet sich bei Bach nicht, hier heißt es lapidar „chorus primus“ und „chorus secundus“ .
Zu dieser Textvorlage fügt Bach nun weitere Texte ein: einmal den kompletten Passionstext nach Matthäus Kap. 26 und 27, den er allerdings nicht nach Kapiteln aufteilt und Choralstrophen aus dem Evangelischen Kirchengesangbuch. Es erscheint allerdings unklar, ob bei den freien Dichtungen nicht doch noch Bachs Einfluß mitgewirkt hat, dies muß jedoch gegenwärtig offenbleiben.

Gegenüber einem Passionsoratorium sind die handelnden Personen nicht explizit genannt: so wird die Figur des "Evangelista" und "Jesus" immer genannt, zusammen mit dem Hinweis auf die Stimmlage Tenor bzw. Baß. Ebenso genannt wird "Judas", dem die Stimmlage des Basses zugeordnet wird. Benannt werden ferner zwei "Testis"(Zeugen) im Alt und Tenor, der "Pontifex"(Hohepriester) im Baß, zwei "Ancillae" (Mägde); im Sopran, "Pilatus" im Baß, dessen Frau "Uxor..." im Sopran und "Petrus", Baß, der eine eher untergeordnete Rolle spielt. Jedoch hat keiner der genannten Personen irgendwo tragende Funktion, sie werden bestenfalls benötigt, um in den Rezitativen auf kommende Chor- oder Arienpassagen hinzuweisen. Die Ausführenden der Arien bleiben namenlos und lassen sich nur erahnen: z.B. in der Bethanien-Szene (NBA 4c - 6) ließe sich die Figur der Maria Magdalena (Schwester der Martha) konstruieren -
Es ist unter Theologen noch umstritten, ob in der besprochenen Szene Maria Magdalena das Nardenwasser auf Jesus gießt , vgl. Mark. 14,3-8; Joh. 12, 1-7). Es gibt einen Streit darüber, ob die "Sünderin" und Maria Magdalena anhand dieser Szene identifiziert werden können und ob die Salbung Buße oder Wohltat sein soll. (MS)
- wäre die Ausführung der Altpartie nicht durch einen Mann vorgesehen, da zu Bachs Zeit Frauen im Chor nichts zu suchen hatten und eine Alt-Partie im Gegensatz zur Romantik eben nicht mit einer sinnlichen Frau verbunden wurde (Zum Problem der Falsettisten vgl. MGG "Tenor" 239; Harnoncourt 1987 lO9 f ). Nach Theill (Theill S.61) liegt den vier Stimmen eine bestimmte Aussage zugrunde und diese liegt in der Vermittlung des göttlichen Heils: Demnach ist der Baß der Heilträger, der Tenor der Heilsvermittler, der Alt Heilsbedürftiger und der Sopran der Heilsgewisse. Diese Theorie läßt sich auch bis zu einem gewissen Grad nachweisen. z.B. Alt-Arie "Erbarme dich", Tenor als Berichterstatter, jedoch gibt es genug Gegenbeispiele: Warum wäre dann die Figur des Christus und Judas oder des Pontifex mit dem Baß besetzt, warum die Arie "Gebt mir meinen Jesus wieder" dann nicht mit dem Alt, statt mit dem Baß besetzt? Christus als Baß hat Tradition, falsche Zeugen, Verräter, Judas etc. würde man dagegen eher im Tenor ansiedeln, und hat es auch eine lange Zeit getan (MGG a.a.O.). Einen Aufschluß gibt das letzte Rezitativ (NBA 67), in dem alle vier Stimmen noch einmal zu Wort kommen:

Baß  :     Nun ist der Herr zur Ruh' gebracht...
Tenor:   
Die Müh' ist aus, die uns're Sünden ihm gemacht.
Alt :       
O selige Gebeine, seht, wie ich euch mit Buß und Reu beweine,
               daß euch mein Fall in solche Not gebracht!
Sopran: 
Habt lebenslang vor euer Leiden tausend Dank, daß ihr mein Seelenheil so wert geacht'.


Hier lassen sich die Stimmgruppen eher mit den Begriffen Dankbarkeit (
Sopr.), Schuld (Alt), Scham (Tenor) und Trauer (Baß) umreißen, allerdings begibt man sich damit genauso auf eingefährliches Pflaster wie Theill, wenn daraus Gesetzmäßigkeiten abgeleitet werden sollen. Sopran kann nicht immer für Heilsgewißheit oder Dankbarkeit stehen, dies lassen schon allein die Choräle der Passion nicht immer zu, in denen er aufgrund der Tradition den cantus firmus hat. Bach scheint sich allerdings bei der Wahl der Stimmlage schon sehr genau überlegt zu haben, welchen Text er wie besetzt, dies muß momentan allerdings noch offen bleiben. Dramaturgische Aspekte ergeben sich bei Analysen der Instrumentation und Vertonung, Vorlagen der Texte, Textzusammenstellungen, formalen Teile nachträglich erfolgten Änderungen. Eine eindeutige Trennung der Bereiche ist dabei nicht immer zu gewährleisten.

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